086 - Und nachts kam der Vampir
Erlebnis berichtete. Von denen hatte noch keiner ganz allein eine Höhle entdeckt.
Dumpfer Modergeruch schlug ihm aus dem Spalt entgegen. Und noch ein anderer, beißender Geruch war mit dabei, den Fritz nicht kannte. Aber vielleicht riechen alle Höhlen so, sagte er sich und schaute in das Dunkel. Er war gespannt, was ihn dort drinnen erwartete. In Gedanken durchlebte er schon wahnsinnig spannende Abenteuer, die denen von Old Pecos in seinen Heften in nichts nachstanden. Und was noch wichtiger war: Diesmal war er der Held.
Fritz stand auf und straffte seine schmalen Schultern. Sollte er jetzt hineingehen, oder sollte er nicht?
Er bückte sich wieder und leerte seine Taschen aus: Ein Stück Stoff und ein Angelhaken, mit dem er im Mühlbach nach Weißlingen fischte, ein Orangenpapier, das er kürzlich eingetauscht hatte, einige zerknitterte Bilder von Fußballern, eine Trillerpfeife, zwei Meter Schnur, ein Taschentuch, ein besonders runder Kieselstein, eine zerdrückte Zigarette und endlich dann ein Streichholzheftchen, das er kürzlich auf dem Marktplatz vom Regen durchweicht gefunden hatte. Jetzt waren die Zündhölzer wieder trocken.
Mit zitternden Fingern riß er ein Streichholz an und hielt es in das Dunkel, das jetzt doch mit jeder Sekunde unheimlicher wurde. Langsam und Schritt für Schritt tastete er sich vor.
Viel konnte er nicht erkennen. Gelblich-graue, ausgewaschene Wände, Risse, die sich durch den Fels zogen, und dann verbrannte er sich am Streichholz die Finger.
Schnell ließ er es fallen. Es flackerte noch einen Augenblick am Boden und verlöschte. Die Dunkelheit fiel wie ein engmaschiges Netz auf den Buben herab. Schnell wandte er sich um, wo der schmale Spalt des Eingangs noch beruhigendes Tageslicht spendete.
Der beißende Geruch war stärker und penetranter geworden.
»Hier stinkt’s«, sagte Fritzchen und spielte mit dem Gedanken, wieder umzukehren. Schließlich rang er sich durch, doch noch ein Streichholz zu riskieren. Er leuchtete damit den Boden ab, weil er kurz vorher um ein Haar ausgerutscht war.
Wenn die schwarze Masse nicht gar so seltsam ausgesehen hätte, hätte er sie für Pferdemist gehalten. Das Zeug stank auch so ähnlich. Nur viel strenger. Aber das konnte es ja gar nicht geben. Wer sollte schon mit einem Pferd hier hereinkommen?
Das Streichholz war erst zur Hälfte abgebrannt, und Fritz ging noch ein paar Schritte weiter, bis der Höhlengang eine scharfe Biegung machte.
Er schaute zum Lichtspalt zurück, der immer kleiner und schmaler geworden war.
Nur hinter diese Biegung wollte er noch schauen. Dann würde er wieder zur Lichtung hinauf und zur Gruppe zurückgehen.
Er riß zischend sein drittes Streichholz an. Es war das letzte.
Vorsichtig und mit einer Gänsehaut an den Armen leuchtete er um die Biegung und riskierte noch einen weiteren Schritt in das Unbekannte, hielt das flackernde Flämmchen hoch über seinen Kopf.
Der Gang verbreiterte sich hier zu einer Grotte, die größer war als das Wohnzimmer zu Hause. Der Schein des Flämmchens reichte nicht aus, um bis in den letzten Winkel zu leuchten.
Der Blick des Jungen glitt an den Wänden hoch zur Decke.
Er erstarrte.
Sein Mund öffnete sich zu einem spitzen Schrei.
Brennende Augen schauten auf ihn herab und drohten ihn zu verschlingen! Die Augen starrten aus einem dunklen, beutelähnlichen Etwas, das riesengroß von der Decke herabhing.
Und das Ding bewegte sich.
Am unteren Ende wurde eine spitze Schnauze mit zwei über die Lefzen ragenden Eckzähnen sichtbar. Die Schnauze öffnete und schloß sich wieder.
In diesem Augenblick war das Zündholz bis zu den Fingern des Buben herabgebrannt. Jetzt’ nahm er auch wieder den bestialischen Gestank wahr, der ihm den Atem raubte. Die Finger taten weh, doch der Schmerz wurde weggeschwemmt von der panischen Angst, die ihn mit stählernen Klauen gepackt hatte und ihn nicht mehr losließ.
Das Wesen an der Decke bewegte sich. Ein Flattern war in der Grotte. Die verdorbene Luft geriet in Bewegung, der Atem der Verwesung und der Hölle streifte die Wange des Kindes.
Dann endlich brachen sich die Lungen die Bahn frei zu einem lauten, überschnappenden Schrei, der als tremolierendes Echo durch den Gang und die Grotte rollte.
Der Bub begann zu rennen. Er wußte weder Richtung noch Ziel. Nur ganz schnell weg von hier. Irgendwohin, wo die Sonne schien und Schmetterlinge flogen. Weg von diesem unheimlichen Wesen, das ihn angestarrt hatte.
Er stieß sich den Kopf an und
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