0861 - Gefangene der Namenlosen
und das Bein vorgeschoben.
Die rasch zufallende Tür prallte gegen Sukos Fuß, womit die Person nicht gerechnet hatte. Sie bekam den Gegendruck mit, konnte ihn nicht mehr so recht abfangen und taumelte zurück.
Suko nutzte die Gelegenheit. Die seltsame Nonne kämpfte noch mit ihrem Gleichgewicht, als er das Kloster bereits betreten hatte und ihm der Abbé auf der Stelle folgte. Bloch war es auch, der die Tür zurammte, als wollte er damit andeuten, daß sie so leicht nicht mehr aus dem Bau zu vertreiben waren.
Die Frau hatte sich wieder gefangen. Sie war jetzt böse und knurrte die Männer an.
»Ruhig, nur ruhig«, sagte Suko. »Wir wollen nicht viel. Nur die Gefangene holen.«
Vielleicht hatte ihn die Nonne verstanden oder sich etwas zurechtgereimt, jedenfalls machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte davon. Wie ein Schatten tauchte sie in das Halbdunkel der Klosterhalle ein, in dem sich ein Mensch alles andere als wohl fühlen konnte. Diese Umgebung war beinahe wie geschaffen für einen Vampir.
»Jetzt wird sie Verstärkung holen«, sagte Bloch.
»Soll sie.«
»Du bist dir so sicher?«
»Und ob.«
»Was ist, wenn die beiden Zwillinge auftauchen?«
Suko lächelte kantig, als er die Dämonenpeitsche zog, den Kreis schlug und zuschaute, wie die drei Riemen aus der Röhre rutschten.
Umgekehrt, aber ausgefahren, steckte er die Peitsche zurück in seinen Gürtel.
»Schaffst du sie damit?«
»Wir werden sehen.« Suko blieb nicht auf dem Fleck stehen. Er ging nach vorn, weil er mehr von der Halle sehen wollte. Zunächst fielen ihm die kahlen Wände auf, die mausgrau gestrichen waren.
Fast kahle Wände, bis auf eine Stelle, wo alte Schwerter und Lanzen ihren Platz gefunden hatten. Es gab nur wenige Möbelstücke. Auch sie waren dunkel und sahen alt aus, auch wenn das Holz schimmerte, als wäre es frisch geputzt worden.
Die Nonne war verschwunden und kehrte auch vorerst nicht zurück. Es sah so aus, als hätte sie den beiden Besuchern das Kloster voll und ganz überlassen.
Der Abbé ging dorthin, wo sich die Fenster befanden und es etwas heller war. Dort blieb er stehen und erinnerte an eine einsame Lichtgestalt. »Was machen wir?«
»Noch nichts.«
»Und später?«
»Suchen wir uns den Weg in den Keller.«
»Vielleicht sollten wir das jetzt tun. Ich traue diesen Weibern alles zu. Die können ebensogut losgehen und Naomi umbringen. Möglich ist alles in diesem…«
»Hier wird niemand umgebracht!«
Die scharfe Frauenstimme unterbrach den Inspektor mitten im Satz. Keiner von ihnen hatte die Person bisher gesehen gehabt, sie aber trat aus dem Dunkel hervor und bewegte sich mit zielsicheren Schritten durch die Halle in Richtung der beiden Besucher.
Ohne es genau zu wissen, ahnten beide, daß vor ihnen so etwas wie eine Chefin stand. Eine dämonische Äbtissin möglicherweise, aber in ihrer Kleidung unterschied sie sich nicht von der Person, die ihnen die Tür geöffnet hatte.
Auch sie trug die dunkle, bis zu den Füßen reichende Kleidung.
Sie war stehengeblieben und erinnerte in ihrer Haltung an eine düstere Statue aus irgendeinem Keller. Sie wartete ab.
Der Abbé übernahm das Wort. »Sie wissen, weshalb wir gekommen sind?«
»Man stellt sich vor bei uns.«
»Gern, ich heiße Bloch, Abbé Bloch!«
Zuckte die Frau zusammen, oder war es Einbildung? Sie zeigte sich allerdings überrascht, denn sie fragte: »Ein Abbé hat hier Einlaß gefunden?«
»So ist es.«
»Was wollen Sie?«
»Wir suchen jemand, und wir wissen, daß er in diesem Kloster versteckt gehalten wird.«
»Wir halten niemand versteckt.«
Bloch ließ sich nicht beirren. »Die Person heißt Naomi, und sie hat uns um Hilfe gebeten.«
»Sie braucht keine Hilfe, denn sie gehört zu uns.«
»Das sieh sie anders.«
»Ich weiß, aber wir meinen es nur gut mit ihr.«
Bloch lächelte. »Darf ich dann fragen, wer Sie sind? Sie wohnen doch sicherlich nicht allein in diesem Kloster, denke ich. Sie werden Schwestern haben, die sich ebenfalls in die Einsamkeit der Berge zurückgezogen haben. Welchem Orden gehören Sie an?«
»Keinem.«
»Und wie heißen Sie?«
»Gitta.«
»Mein Freund heißt übrigens Suko, das hatte ich ganz vergessen.« Der Abbé lächelte und sprach locker weiter. »Sie gehören keinem Orden an, leben aber wie Nonnen. Ist das nicht seltsam?«
»Für uns nicht.«
»Aber für uns.«
»Sie brauchen es nicht zu wissen. Was hier geschieht, geht allein nur uns etwas an.«
»Ja, ja«, sagte der Abbé und nickte dabei.
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