0861 - Gefangene der Namenlosen
ein. Ich stoppte, sah jetzt das Bett. Entsetzen traf mich, denn darauf lag Serafina in einer unnatürlichen Haltung.
Man hatte ihr das Genick gebrochen!
***
Damit stand für mich fest, daß sich die Zwillinge in diesem kleinen Bergdorf aufhielten. Sie waren zurückgekehrt, um da weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten.
»Nein!« hörte ich Carla sagen. »Nein, John, nein!« Sie drehte ihren Kopf und preßte ihr Gesicht gegen meinen Körper. Ich sollte ihre Tränen nicht sehen, aber ich spürte, wie ihre Schulterblätter zuckten.
Sie sprach den Namen Serafina immer wieder aus, und ich schaute dabei auf das bleiche, noch im Tod schmerzverzerrte Gesicht der Frau, die ein schreckliches Ende gehabt hatte. Kaum zu glauben, daß ihre Mörder zwei kleine Kinder gewesen sein sollten.
Ich war ein Mensch, der sich nie an den Tod gewöhnen würde.
Auch jetzt strebten die Vorwürfe in mir hoch. Ja, ich gab mir einen Teil der Schuld. Wir hätten zuerst zu Serafina gehen sollen und nicht zu Luigi. Die Frau war sicherlich noch nicht lange tot.
Vielleicht hätte ich sie noch retten können.
Auch Carla weinte nicht mehr. Sie hatte ihren Kopf zurückgelegt und schaute zu mir hoch. »Es waren die beiden, nicht? Sie haben Tomi den Kopf abgerissen und Serafina… warum ist ihr Kopf so verdreht, John?«
»Laß es gut sein.«
Damit gab sie sich auch zufrieden. »Wir gehen jetzt weg von hier, nicht wahr?«
»Ja.«
»Und wohin?«
»Ich weiß es noch nicht. Ich werde dich aber zu deinen Eltern zurückbringen und mich allein auf den Weg machen. Es ist allmählich zu gefährlich geworden.«
Carla hatte nichts dagegen. Sie drehte sich auch um und ließ mich los. Mit gesenktem Kopf und wieder leicht weinend ging sie auf die schmale Tür des Zimmers zu.
Ich trat bis an das Bett heran. Wenig später wußte ich noch mehr.
Der Frau war nicht nur das Genick gebrochen worden, auch die Arme und Beine, und wieder fragte ich mich, mit welchen Bestien ich es hier zu tun hatte.
Ich drehte mich wieder um.
Von der Tür her schaute mich Carla an. »Ich glaube, da ist etwas gewesen«, hauchte sie.
»Bitte…?«
»Ja, ich hab’ ein Geräusch gehört.«
»Was denn?«
Sie hob die Schultern, blieb aber in ihrer Haltung stehen und lauschte, was ich ebenfalls tat.
Das leise Lachen hörten wir beide. Die zischelnde Stimme klang gefährlich. »Wir sind da, Todfeind, wir sind da… freust du dich jetzt?«
Nein, »ich freute mich nicht. Statt dessen hatte ich Angst, nicht um mich, sondern um die zwölfjährige Carla…«
***
Nichts wies daraufhin, welcher Schrecken sich hinter den Mauern des Klosters verbarg. Alles war völlig normal, auch wenn niemand erschien, als Suko und der Abbé vor dem Tor stehenblieben.
Zwar war die Tür verschlossen, aber Suko klingelte, und wir warteten auf eine Reaktion.
Sie erfolgte nicht.
Das zweite Klingeln.
»Was ist, wenn man uns nicht hineinlassen will?« fragte der Abbé.
»Dann werden wir es mit Gewalt versuchen. Schließlich befindet sich ein Mensch in Gefangenschaft, und ihm muß geholfen werden.«
»Ja, das ist ein Grund.«
Sie brauchten kein drittesmal zu klingeln, denn plötzlich bewegte sich hinter der Tür ein Riegel, dann glitt die schwere Klinke nach unten, und die Tür wurde aufgezogen, und in dem Spalt malte sich ein Gesicht ab. Es kam den beiden Männern vor wie ein bleicher Nebelfleck. Erst als sie genauer hinschauten, machten sie auch die Konturen aus.
Sehr blaß, kleine, listige und funkelnde Augen, ein verkniffener Mund, auch irgendwie alterslos sah das Gesicht aus. Keiner der Besucher war von diesem Gesicht begeistert.
»Wer seid ihr? Was wollt ihr?« zischelte es ihnen entgegen.
Die Männer hatten vorher abgemacht, wer reden sollte. Suko überließ dem Abbé das Feld, zudem verstand er die Sprache, von der Suko nur Bruchstücke konnte.
»Wir sind Freunde…«
»Nein, wir haben keine Freunde, die so aussehen.«
»Nicht direkt von euch…«
»Aha.«
»Freunde von Josephiel.«
Bei Nennung des Namens zuckte die Nonne zusammen. Unter der Mütze oder Kapuze schien ihr Gesicht zu schrumpfen, der Mund zuckte, dann schüttelte sie den Kopf und gab den beiden zu verstehen, daß Josephiel hier nicht bekannt war und er deshalb auch keine Freunde haben konnte, die im Kloster willkommen waren.
Suko hatte mit einer derartigen Abfuhr gerechnet. Er und der Abbé waren darauf vorbereitet. Als ihnen das »Gehen Sie!« entgegengezischelt wurde, hatte Suko seinen rechten Fuß bereits gekantet
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