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0861 - Manege der Hölle

0861 - Manege der Hölle

Titel: 0861 - Manege der Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Krämer
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Barnum stand hinter dem Samtvorhang.
    Die Show lief, und sie lief wie erwartet reibungslos und perfekt. P.T. hatte jedoch kaum einen Blick für die Artisten und die Tiere. Seine Augen ruhten auf dem winzigen Fleck im Sand, den sicher kaum einer der Zuschauer überhaupt registriert hatte.
    Er war ja auch kaum zu erkennen, so klein und unauffällig war er. Nur der Zirkusdirektor selbst musste ihn zwingend finden, wenn er sein Publikum begrüßte. Dieser ganz bestimmte Punkt, meist ganz einfach mit einem flachen Stein oder einem Stück Klebeband gekennzeichnet - war die exakt vermessene Mitte der Manege, ihr Zentrum.
    Dort, und nirgendwo anders, musste der Direktor stehen. Es war sein Platz, sein Thron. Vor allem jedoch war es ganz profan der Punkt, auf den Stunden zuvor der Spot ausgerichtet worden war, der den Auftritt des Zirkusdirektors so dramatisch begleitete.
    P.T. sah ihn… den Punkt.
    Es war immer und zu allen Zeiten sein Punkt gewesen. Er , niemand anders, eröffnete die großen Abende. Barnum prallte gegen den Holzmast, der den Haupteingang begrenzte. Ein Artist hatte ihn im Vorbeilaufen angerempelt. »Pass doch auf, Alter. Steh nicht so blöde im Weg herum…« Ehe P.T. eine Antwort geben konnte, war der Mann schon verschwunden.
    Barnum musste sich an dem Mast festhalten, sonst wäre er sicher in die Knie gegangen. Nicht wegen dem Zusammenprall, sondern weil ihm in diesem Moment bewusst wurde, wie recht die Tigerfrau doch gehabt hatte. Für eine Bemerkung, wie die von dem Artisten, hätte Barnum früher Köpfe rollen lassen. Heute… der Artist hatte ihn nicht einmal erkannt.
    Sklave und Stallknecht , so hatte es diese Tigerin gesagt. Höchstens noch Bote, den man hin und her scheuchen konnte. Jetzt, als die Show lief, hatte P.T. keinerlei Bedeutung, keine Verantwortung, nicht einmal den kleinsten Job.
    Nybbas hatte alles. Den großartigsten Zirkus, den es wohl je gegeben hatte. P.T. wusste nicht genau, was Nybbas eigentlich plante, doch anscheinend ging es dem Dämon nur um seine Position innerhalb der Schwarzen Familie. Der Zirkus war nur Mittel zum Zweck.
    P.T. wurde plötzlich bewusst, dass nach dieser Vorstellung alles vorbei war. Nybbas würde wohl seinen alten, angestammten Platz wieder einnehmen. Was mit den Artisten, den Tieren geschah, konnte er sich nicht vorstellen. Wahnsinnig viel Energie und Magie hatte Nybbas aufgewendet, damit er seinen Traumzirkus auf die Beine gestellt hatte. Alles nur für diese winzig kleine Zeitspanne?
    Und er, Barnum? Er war jetzt nur noch Stallknecht. Was war er, wenn sich der Vorhang heute zum letzten Mal schloss? Ein Gefühl stieg in P.T. auf, das er so im Grunde noch nie an sich erlebt hatte. Oh, er war im Leben ein harter und unerbittlicher Mann gewesen, der über Leichen ging. Nicht nur im Zirkusgeschäft, denn Barnum war auch in die Politik gegangen. Sein Ruf war damals verdammt ruiniert gewesen, ja, das konnte man so sagen.
    Das ging sogar so weit, dass irgend so ein Idiot mit Namen Waldo Emerson P.T.s Namen als Sinnbild für alles, was damals in der USA nicht in Ordnung war, verunglimpfte. Der Barnum-Effekt nannte der Kerl das Ganze dann. P.T. hätte ihn erwürgen können, doch selbst für diesen Mann hatte er nie das gefühlt, was jetzt seine Kehle hochgekrochen kam. Hass - blanker, unverhohlener Hass!
    Hass auf Nybbas, der Barnum so einfach abgeschrieben hatte.
    Draußen auf den Rängen tobten die Zuschauer bei jeder neuen Attraktion. Und von denen gab es unendlich viele -Schlag auf Schlag. Vieles davon war auf Barnums Mist gewachsen. Nybbas hatte die Showteile dann nur mittels seiner schier unerschöpflichen Magie übersteigert und erhöht.
    Sie klatschten sich die Hände, Flossen, Krallen - was auch immer - wund. Aber das galt nicht P.T., ganz sicher nicht.
    Die Show näherte sich ihrem Ende - der Raubtiernummer.
    Barnum wusste, was nun kommen würde. Nybbas' ganz großer Auftritt, und der Tod der Tigerfrau, die ihm - P.T. - die Augen geöffnet hatte. Barnum ließ seine Blicke umherschweifen. Nein, diesen schieren Triumph sollte Nybbas nicht genießen…
    ***
    Der Innenkäfig erschien begleitet von Goldflimmern inmitten der leeren Manege. Halbrunde Käfiggänge existierten plötzlich wie von Zauberhand hingestellt, und verbanden Käfig und den hinteren Zeltteil.
    Eine seltsame Stille legte sich über die Zuschauer, die nach all den atemberaubenden Attraktionen dennoch zu wissen schienen, dass der Höhepunkt nun erst kommen würde. Sie alle hatten noch

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