0862 - Der Leichenmantel
Kommende, der Suchende, und ich stellte auch meine erste Frage. »Wer bist du? Hast du einen Namen? Oder soll ich dich nur Diener des Teufels nennen?«
Natürlich war ich gespannt darauf, ob er reden konnte oder sich mit mir auf eine andere Art und Weise in Verbindung setzen wollte. Er tat es auf die andere Art und Weise, und ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Er schrieb.
Es war sein rechter Arm, der sich bewegte. Aus dem Ärmelausschnitt schob sich die Hand hervor, die nicht mehr war als eine bräunlich schimmernde Klaue. Drei Finger und ein Daumen waren zur Faust geballt, der Zeigefinger stach vor, und ihn bewegte er innerhalb der Wand, als wollte er diese als Tafel benutzen.
Es entstanden tatsächlich flimmernde Buchstaben, und ich kam aus dem Staunen nicht heraus. In seine Welt oder in die Wand hinein schrieb er seinen Namen.
»Erasmus«, flüsterte ich.
Obwohl ich leise gesprochen hatte, war ich von ihm gehört worden, denn er nickte.
»Weiter!« forderte ich ihn auf.
Für einen Moment zögerte er, und ich überlegte mir bereits Fragen, die ich stellen konnte. Es war nicht nötig. Mir kam es vor, als wäre bei dieser Knochengestalt endlich ein Knoten geplatzt, als hätte er nur auf diesen einen Moment gewartet, sich mitzuteilen. Ich stand da und staunte, während er mir so etwas wie eine Lebensbeichte aufschrieb.
Ich konnte die Worte lesen, denn ich verstand die deutsche und auch die italienische Sprache. Er schrieb in einer Mischung aus beiden, so daß ich mir die Folgen daraus gut zusammenreimen konnte.
Ich erfuhr, daß er aus dem letzten Jahrhundert stammte. Er war als Einsiedler und Gelehrter in dieses abseits gelegene Hochtal gekommen, um sich in einem Kloster von der Welt zurückzuziehen. Er wollte ein Buch schreiben. Es war ein Buch über die Hölle. Erasmus hatte die Hölle studiert. Er hatte in alten Schriften geforscht, um anschließend seine eigene Meinung darüber schreiben zu können. Er war auf Asmodis gestoßen, aber auch auf Belphégor und auf Beelzebub. Er hatte von der Dreierbeziehung zwischen diesen Wesen geschrieben und sie auf den Nenner Luzifer gebracht.
Ich brauchte überhaupt keine Fragen zu stellen. Der Einsiedler bewegte Arm und Hand, schrieb sehr schnell, so daß selbst ich mit dem Lesen Mühe hatte.
Monate hatte er hinter den Klostermauern verbracht und so gut wie keinen Kontakt gehabt. Nur zu einer Frau, die ebenfalls in den Bergen lebte, hielt er Verbindung. Es mußte die Frau sein, von der auch das Mädchen Carla gesprochen hatte.
Dann war der Winter gekommen.
Und mit ihm die Kälte, aber der Einsiedler wollte diesen Ort nicht verlassen, weil er es geschafft hatte, den Kontakt mit der Hölle aufzunehmen. Er hatte nicht nur über sie geschrieben, der Teufel hatte sich ihm offenbart, und Erasmus war seiner Faszination erlegen. Aber die Kälte machte ihn fertig. Er bat um Kleidung, erhielt jedoch keine. Die Dorfbewohner ignorierten ihn, sie fürchteten sich sogar, und als ihm die alte Frau dann ein Kleidungsstück bringen wollte, da war es zu spät gewesen. Da lag Erasmus bereits im Sterben, und er sprach von einem Leichenmantel, den er sich irgendwann einmal herstellen würde, um die Menschen im Ort zu töten. Dieses Gerede hatte die Frau noch mitbekommen. Es waren seine letzten Worte, bevor er starb.
Sie aber hatte sein Buch verbrannt und war aus dem Kloster geflohen. Ihn hatte sie liegenlassen, dabei nicht ahnend, daß er bereits den sehr intensiven Kontakt mit der Hölle gehabt hatte, und die Kräfte des Teufels nun auf seiner Seite standen.
Der Satan nahm ihn auf.
Er zog ihn hinein in seine Welt, er hatte sich ein Tor geschaffen und es anschließend wieder verschlossen.
So vergingen Jahrzehnte.
Doch die Hölle hatte Zeit. Sie und Erasmus warteten auf einen günstigen Augenblick.
Der deutete sich an, als die Namenlosen Nonnen das Kloster besetzten. Auch sie waren von ihrem Glauben abgefallen, tendierten jedoch in eine etwas andere Richtung, denn sie wollten den bösen Engeln einen nötigen Schutz gewähren.
Das geschah auch. Josephiel, der Abtrünnige, fand hinter den Klostermauern Schutz. Später auch seine beiden Kinder, und für den wartenden Erasmus war die Zeit gekommen, als es Josephiel und die Kinder nicht mehr gab. Da hatte er sich über seine Beute hergemacht. In einer Blutnacht hatte er alle Nonnen getötet und sie in seine Welt gezerrt. Er hatte sie dann wieder hinausgeworfen, als er sie nicht mehr brauchte, aber sein Mantel war fertig, und
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