0862 - Eiswind der Zeit
Ob sie das auch verschwinden läßt, um ihre Anbeter zu befriedigen ...?
Er hatte es kaum gedacht, als genau das geschah!
Früchte, Gefäße und Körbe begannen zu flimmern - und dann war der Platz vor dem Podium leer.
Beruhige dich, Hotrenor, kam Harnos Gedankenbotschaft. Es ist nichts anderes als Ma-terie-Transmission, ein technischer Trick, der die Eingeborenen verwirren muß. Sie ken-nen keine Technik, wohl aber jenes Volk, dem diese Fremde angehört. Ich empfange noch immer keine Gedankenimpulse von ihr, aber ich bin sicher, daß sie auf dieser Welt gestrandet ist. Sie läßt sich als Göttin verehren und besorgt damit Nahrungsmittel für sich und die Überlebenden des havarierten Raumschiffes. Aber das ist nur eine Vermutung.
Das klang logisch, doch Hotrenor-Taak fragte sich, was das alles mit ihm und Harno zu tun hatte. Welche Erkenntnisse konnten sie beide aus einem Geschehen erlangen, das sich in fernster Vergangenheit abgespielt hatte?
Und vor allem: wer oder was hatte sie hierher geschickt?
Der Schlüssel zu manchen Geheimnissen der Gegenwart und Zukunft lag verborgen in der Vergangenheit, das war eine alte Weisheit. Hotrenor-Taak wußte das, konnte sich aber trotzdem keinen Reim auf das Geschehen machen. Vielleicht kannte er die Sagen, Mythen und Religionen der Terraner zu wenig, um etwas damit anfangen zu können.
Au-ßerdem sah er keinen Zusammenhang zwischen seiner „Gegenwart" und dem, was da-mals hier auf der Erde geschehen war.
Er gab es auf, darüber nachzudenken. Auch Harno enthielt sich jeder Mitteilung.
Außer-dem lenkte ihn der Gesang wieder ab. Nachdem die „Göttin" alle Opfer angenommen hat-te, würde es eine gute Ernte geben, Grund zur Freude. Und die Eingeborenen drückten diese Freude durch einen erregenden Tanz aus.
Für die hehre Gestalt auf dem Podium schien das ein Zeichen zu sein, sich auf ihre Weise zu entfernen.
Unter dem durchsichtigen Gewand begann sich ihr leicht hin und her wiegender makel-loser Körper allmählich zu verflüchtigen, bis Hotrenor-Taak nur noch das fließende Kleid sah.
Von einer Sekunde zur anderen verschwand auch dies.
Das Podium war plötzlich leer.
Die Eingeborenen schienen diesen Vorgang zu kennen. Sie nahmen keine Notiz von der „Entrückung" und tanzten immer wilder. Die Männer mischten sich unter die Priesterinnen, die allmählich in Ekstase gerieten.
Eine von ihnen löste sich von ihrem Partner, der sie zwischen die Säulen zu zerren ver-suchte, lief zum leeren Podium und warf sich davor nieder. Sie lag dort, wo vorher die Körbe mit den Opfergaben gestanden hatten.
Hotrenor-Taak, der schon gehen wollte, um zu Harno zurückzukehren, verharrte, denn das junge Mädchen, das vor dem Podium lag, begann mit heller, durchdringender Stimme zu reden. Sie tat es in einer dem Laren unbekannten Sprache.
Immerhin erhielt Hotrenor den Eindruck, daß es sich um ein Gebet handelte.
Ein Wort kehrte immer wieder, mit dem der Lare nichts anfangen konnte. Vielleicht war es ein Name oder ein ganz bestimmter Begriff, dem eine besondere Bedeutung zukam.
Es klang wie „Demeter" oder so ähnlich.
Nur noch das Mädchen war jetzt zu hören, denn der Gesang der anderen war abgebro-chen worden. Der Saal begann sich zu leeren. Zwischen den Säulen hindurch konnte Hotrenor-Taak sehen, wie sich die spontan zusammengefundenen Paare der Liebe hin-gaben.
Abrupt wandte er sich um und verließ den Tempelpalast.
Harno schwebte an der gleichen Stelle wie vorher.
Wenn die GORSELL rematerialisiert, wird es hier geschehen, teilte Harno mit. Aber ob wir dann auch in unsere Gegenwart zurückkehren, ist eine andere Frage.
„Wir können doch nicht für immer hier bleiben! In einer Zeit, die wir nicht kennen und zu der wir keine Beziehung haben. Wer immer uns hierher versetzte, muß uns auch wieder zurückholen."
Hotrenor-Taak sprach laut, denn er brauchte nicht zu befürchten, daß ihn jemand hörte. Außerdem war es so leichter für Harno, seine konzentrierten Gedanken zu empfangen.
Der Unbekannte - oder das Unbekannte - ist stärker als wir.
Hotrenor-Taak sah zurück zum Tempel. Das Mädchen kniete noch immer einsam vor dem Podest und betete zu der verschwundenen Göttin.
„Was sagt sie?" fragte er.
Nach einer Weile antwortete Harno: Sie bittet um Fruchtbarkeit, nicht nur für ihre Felder, sondern auch für die ihres Leibes.
Sie will ein Kind.
Hotrenor-Taak dachte für einen Augenblick an die Paare, die sich in das Innere des Tempels zurückgezogen hatten.
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