0863 - Die Sirene von Atlantis
Vater?«
Delios zögerte mit der Antwort. »Ja und nein, meine Tochter. Ich kann es ein wenig verändern. Wenn dieses Land einmal untergehen wird, dann werden nicht all seine Bewohner sterben. Es wird einige geben, die der großen Katastrophe entkommen können. Allerdings müssen sie sich zuvor darauf vorbereitet haben, und ich denke, daß du, meine Tochter, zu diesen Menschen gehören wirst.«
»Ich?« staunte sie.
»Ja.«
»Aber was kann ich tun?«
Delios lächelte. »Zunächst mußt du lernen. Du bist alt genug, um dich in diesem Land umzuschauen. Du wirst dein Elternhaus schon bald verlassen und dich auf die große Reise begeben. Du wirst mit einem Boot zu den Inseln hinausfahren, dir werden zwei Welten begegnen, die gute und die schlechte. Du wirst Menschen erleben, die mächtig sind, und du wirst dich fragen, ob du sie überhaupt noch als Menschen ansehen kannst, weil sie mit den finsteren Mächten in Verbindung stehen. Mit Götzen und Dämonen, mit Wesen wie dem Schwarzen Tod oder anderen, die das Dunkle Reich wollen und den Untergang auch nicht aufhalten können. Du wirst lernen müssen, dich zu verteidigen, und du wirst auf deinen Reisen durch dieses wunderbare Land schließlich froh darüber sein, daß ich dich oft genug behandelt habe wie einen Sohn und dir zeigen konnte, wie man sich verteidigt und wie man mit den Menschen zurechtkommt. Du hast viel gelesen, du hast vieles gelernt, du verfügst deshalb über ein großes Wissen, und Wissen ist Macht. Aber du hast auch gelernt, mit der Waffe umzugehen und dein Leben zu verteidigen. Wenn beides zusammenkommt, wie es bei dir eben der Fall ist, brauchst du vor dem Leben keine Angst zu haben.«
Kara nickte. »Das stimmt, Vater, und dafür bin ich dir auch dankbar, aber du hast nie von dem Untergang gesprochen und mir auch nicht erklärt, wie ich ihm entkommen kann.«
»Das werde ich später tun!«
»Wann ist das?«
Eine Dienerin huschte durch den Fackelschein und blieb vor den beiden stehen. Sie erkundigte sich, ob sie noch gebraucht würde und noch etwas Wein holen sollte.
»Ja, bitte, hol uns noch Wein. Danach kannst du dann ins Bett gehen.«
»Danke, Herr.«
Delios wartete, bis die Frau verschwunden war. Er antwortete seiner Tochter. »Es ist das Vorrecht der jungen Menschen, ungeduldig zu sein. Es ist kein Nachteil. Ich bin es damals auch gewesen, deshalb kann ich dich gut verstehen. Aber laß dir bitte gesagt sein, daß ich dir die Antwort noch nicht geben kann. Du bist wirklich noch zu jung. Du mußt erst Erfahrungen des Lebens sammeln. Du mußt beide Seiten kennenlernen, die gute und die schlechte, und du wirst so erfahren, daß so ein Leben aus Höhen und Tiefen besteht. Du wirst in dieser Zeit zu einer großartigen Frau heranreifen, das weiß ich, denn alle Voraussetzungen sind bei dir gegeben. Ich werde stolz auf dich sein können, denn die Erfahrung wird dich lehren, genau abzuwägen, was du tust und was du lieber läßt. Schon kann ich dir sagen, daß du ein interessantes Leben führen wirst.«
Kara hatte ihrem Vater staunend zugehört. Sie wußte, daß er ein sehr weiser Mann war, denn es gab viele Menschen, die bei ihm Rat suchten und auch fanden. Er verfügte über ein großes Wissen, nicht allein, was die Künste der Mathematik oder der Sprache angingen, nein, er war auch ein Mensch, der hinter die Dinge schaute. Er war Forscher, Wissender und Magier zugleich und deshalb sehr geachtet. Im Gegensatz zu anderen hatte er nie den Pfad des Guten verlassen. Er war immer dafür, die Menschen zu achten, ging aber mit großer Strenge gegen die vor, die die Gesetze übertraten und sich dem Bösen angeschlossen hatten.
Hinzu kam noch etwas: Kara vertraute ihrem Vater bedingungslos. Deshalb richteten seine Worte sie auch auf. Sie fühlte sich plötzlich stark und wie unter einem Schutz stehend.
Die Dienerin kehrte zurück und brachte den Wein. Aus der Karaffe schenkte sie den Roten ein und zog sich lautlos zurück. Zwei Hände griffen nach den Gefäßen, und als Kara ihres angehoben hatte, fragte sie: »Auf was sollen wir trinken, Vater?«
»Auf dich, meine Tochter, und darauf, daß es dir immer gutgehen wird, zu allen Zeiten.«
»Allen Zeiten?«
»Ja.«
»Was bedeutet das?«
Der weißhaarige Mann lehnte sich zurück. »Ich glaube fest daran, daß du Zeiten erleben wirst, die so weit in der Ferne liegen, daß wir beide uns überhaupt nicht vorstellen können, wie sie aussehen. Ja, das ist meine Meinung!«
Kara schüttelte den Kopf.
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