0867 - Die Pesthexe von Wien
Eiterlandschaft schauten. Die Frau hustete schwach und erbrach das Wasser sofort wieder. Ein Schwall schwarzroten Auswurfs folgte. Der Augustiner fuhr hoch und trat ein paar Schritte zurück. Danach nahm er ein spitzes Messer zur Hand und öffnete einige der vogeleigroßen, schwarzen Beulen, die Hals und Arme der Frau bedeckten. Giftgelber Eiter schoss heraus und floss auf die Straße. Ein erleichtertes Seufzen umwehte die Helfer. Sie wussten, dass es die Befallenen als angenehm empfanden, wenn die unreine Flüssigkeit aus ihnen herausquoll. Abraham a Sancta Clara murmelte ein inniges Gebet für die Frau, in das Franziskus einfiel, dann gingen die Mönche weiter. Mehr konnten sie nicht mehr für diese gequälte Seele tun. Beide hatten in den letzten Tagen gesehen, dass unter all den Leichen in den Gassen gar nicht so selten noch Lebende lagen.
Siechknechte mit dumpfen, toten Augen schoben ihre Pestkarren teilnahmslos durch die Straßen, ohne irgendwelche Leichen aufzuladen und abzutransportieren. Wahrscheinlich viele Stunden lang, bis der eine oder andere von ihnen selbst der »leidigen Seuche« zum Opfer fiel. Sie wussten nicht mehr, wie anders sie des Grauens Herr werden sollten.
Bruder Franziskus merkte auf. Ein unheimlich anmutendes Wesen bog um eine Ecke. Es trug einen bodenlangen, gelblichen Wachsmantel und Handschuhe sowie einen flachen Hut über dem Vogelgesicht mit dem mächtigen Schnabel und den großen, runden, schwarzen Augen. Sie wirkten leer und tot, so starr wie die eines Reptils. Das Wesen kam mit raumgreifenden Schritten näher. Mit dem Stock in seiner Rechten schlug es nach den Raben und den Hunden, die in seine Reichweite kamen.
Die Mönche verharrten ruhig. Bei der Erscheinung dort handelte es sich nicht etwa um einen Dämon, sondern um einen Pestarzt in Schutzkleidung. In dem Vogelschnabel lag wohlriechende Spezerei, die den furchtbaren Gestank überdeckte. Bei den großen, starren Augen handelte es sich um eine Art Schutzbrille.
»Ich grüße die geistlichen Herrn«, kam es dumpf unter der Vogelmaske hervor. »Wie ich sehe, versucht ihr euch auch darin, den Befallenen ein wenig zu helfen und ihre inwendige Hitze zu lindern. Ein löbliches Unterfangen, wenn auch ganz und gar vergebens.«
»Wer seid ihr, Herr?«, fragte Abraham a Sancta Clara.
»Namen tun in diesen furchtbaren Zeiten, die alle Menschen vor dem Schöpfer gleichmacht, nichts zur Sache. Aber wenn ihr es unbedingt wissen wollt: Mein Name ist Paul de Sorbait.«
Der Augustiner nickte. »Ah, ihr seid das also. Ich hörte bereits von euch. Eure neulich herausgegebene Pestordnung sorgt für einigen Aufruhr in der Obrigkeit. Ihr seid in der Zwischenzeit zu einem der berühmtesten Ärzte Wiens geworden. Leider denkt die hohe Politik gar nicht daran, eure Vorschläge umzusetzen.«
»Ja«, erwiderte de Sorbait, »da habt ihr recht. Wenn Gott ein Land strafen will, dann verblendet er die Obrigkeit. Doch ich werde nicht müde, darauf hinzuweisen, dass Sauberkeit hergestellt werden muss. Auch müssen dringend Pesthäuser errichtet werden. Zudem muss das freie Umhergehen der Menschen drastisch unterbunden werden. Wer befallen ist, trägt die leidige Seuche weiter.«
Wie auf Bestellung kam eine Buß- und Bittprozession die Straße herunter. Gut zweihundert Gläubige gehörten ihr an. Fahnen, Banner und Heiligenfiguren wurden getragen, vor allem die des Pestheiligen Karl Borromäus. Rosenkränze glitten durch zittrige Finger. Der Pfarrer unter dem roten Baldachin betete laut, die Gläubigen wiederholten die Litaneien leise murmelnd. Sie vermieden es alle, auf die Leichen links und rechts ihres Weges zu sehen.
»Das ist es, was ich meine. So etwas dürfte nicht passieren.«
»Bei allem Respekt, verehrter Doktor. Aber eine Prozession, in der sich die Gläubigen zum innigen Gebet zusammenfinden, darf niemals verboten werden. Das ist völlig undenkbar.«
»Nun, mein lieber Abraham a Sancta Clara, ich erwarte momentan nichts anderes vom geistlichen Stand. Aber auch bei euch wird sich irgendwann die Erkenntnis durchsetzen, dass ein Verbot von Prozessionen in schweren Zeiten die ewigen Gesetze Gottes keineswegs verletzt. Schwitzkuren, Aderlässe, das Kauen von Wacholderbeeren und Angelikawurzeln sowie das Verabreichen von-Theriak helfen dem Einzelnen ein wenig, sind aber wenig geeignet, die Ausbreitung des hitzigen Fiebers zu unterbinden.«
Die drei Männer traten zur Seite, damit die Prozession vorbeiziehen konnte.
»Grundgütiger Gott, was
Weitere Kostenlose Bücher