0867 - Die Pesthexe von Wien
Straßen so dicht, dass nichts mehr ging.
Gegen den Willen der Regierung hatte der Oberbefehlshaber des österreichischen Bundesheeres angefangen, mit Truppen die Stadt hermetisch abzuriegeln. Panzer standen an den Ausfallstraßen, Pioniere errichteten Zäune die Donau entlang. Die internationale Staatengemeinschaft unterstützte den General dabei moralisch, so groß war die Panik bereits. Kaum einer behielt noch kühlen Kopf. Man fürchtete bereits eine weltweite Ausbreitung. Vereinzelt mahnende Stimmen, dass man mit diesem blinden Aktionismus das Überschwappen der Seuche ohnehin nicht verhindern könne, gingen völlig unter. Das wurde als bloße Schutzbehauptung abgetan. Dabei war es einfach nicht möglich, eine derart große Metropole vollkommen dichtzumachen. Irgendwo gab es immer Schlupflöcher. Zum anderen hütete sich der General, UNO-City auf der nahen Donauinsel mit in die Absperrung einzubeziehen. Dafür hatte er gedroht, sämtliche Privatmaschinen abschießen zu lassen, mit denen Fluchtversuche durch die Luft unternommen wurden. Wer an einen Bluff geglaubt hatte, so wie Nicole, war nun eines Besseren belehrt worden. Auch das Statement der Stadtregierung, dass die Seuche mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht von Mensch zu Mensch übertragen wurde, stieß in der allgemeinen Panik auf taube Ohren.
Von ferne ertönten Maschinengewehrschüsse. Nicole schüttelte empört den Kopf. Auch dort wurden die Flüchtenden mit allen Mitteln am Verlassen der Stadt gehindert.
Zamorra und Nicole fuhren in den ersten Bezirk zurück. Beim Kolonitzplatz hastete eine junge Frau hinter einem zerdellten Auto hervor, das mit eingedrückter Vorderfront an einem Hydranten hing und noch immer aus dem Motorraum rauchte. Sie zog ein kleines Mädchen an der Hand hinterher. Es weinte und kam kaum nach. Die Frau stolperte und knallte auf den Asphalt. Reglos blieb sie liegen. Das Kind schrie wie am Spieß.
Zamorra bremste mit quietschenden Reifen. Nicole sprang heraus. Sie nahm das Mädchen auf den Arm und tröstete es. Der Professor sah sofort, dass die junge Frau befallen war. Auch das Mädchen trug den dämonischen Virus in sich.
»Ist ja gut«, murmelte Nicole und strich dem schluchzenden Bündel mitfühlend über das Haar. »Gleich ist es vorbei. Wir helfen dir und deiner Mama.«
Der Professor nickte. Er legte Merlins Stern auf die schweißnasse Stirn der Bewusstlosen. Ganz kurz umschloss das Amulett den kranken Körper mit dem bekannten grün leuchtenden Feld. Die schwarz unterlaufenen Stellen verschwanden wie von Geisterhand. Zamorra zog das Amulett zurück. Die Frau seufzte erleichtert. Ihre Lider flatterten. Fast übergangslos schlug sie die Augen auf. »Was… was ist mit mir?«, fragte sie verwirrt.
»Keine Angst, gnädige Frau«, erwiderte Zamorra und lächelte ihr zu. »Sie sind gerettet. Der Spuk ist für Sie vorbei.«
Fassungslos starrte die Frau auf ihre Arme, auf denen es nicht mehr das kleinste Krankheitsbild gab. »Evelyn!«, schrie sie plötzlich panisch. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie mit ihrem Kind unterwegs gewesen war.
Nicole trat hinter Zamorra hervor. Die Kleine begann laut zu weinen. »Mama«, schluchzte sie herzzerreißend und streckte ihre Ärmchen nach der Frau aus.
»Kleinen Moment noch bitte. Wir helfen Ihrer Tochter ebenfalls.« Gleich darauf schritt Merlins Stern erneut zur Tat. Danach gab Nicole das Mädchen zurück.
Die Mutter drückte ihr Kind so fest, dass die beiden Retter ernsthaft um dessen wiedergewonnene Gesundheit fürchteten. Sie schluchzte und wollte gar nicht mehr aufhören. Schließlich hob sie ruckartig den Kopf. Aus großen Augen starrte sie Zamorra und Nicole an, die soeben gehen wollten. »Danke«, flüsterte sie. »Vielen herzlichen Dank. Ich weiß nicht, wer Sie sind und wie Sie das gemacht haben. Aber ich stehe ein Leben lang in Ihrer Schuld. Sind Sie… so eine Art Zauberer?«
Nicole nahm die Hand der Frau. »Etwas in der Art, ja.« Sie lächelte ihr zu. »In unserer Schuld stehen Sie aber nicht. Wir helfen, wo es möglich ist. Alles Gute für Sie und Ihre Tochter. Sie sind jetzt immun, die Seuche kann Ihnen nichts mehr anhaben.«
Eine Stunde später trafen Zamorra und Nicole im Kapuzinerkloster ein. Immer wieder waren sie auf Flüchtende gestoßen, die sich zu Fuß oder per Fahrrad Richtung Stadtgrenzen bewegten. Viele würden durchkommen, andere würden im Kugelhagel der eigenen Armee fallen.
»Es ist wie Armageddon«, flüsterte Nicole. »So ähnlich wird
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