0869 - Der Affengott
Nicole folgten ihr hinaus in den Korridor.
Wie ahnungslos war diese junge Frau wirklich?
»Wir hatten sehr gehofft, dass Sie uns weiterhelfen könnten, Valerie. Heng Son, der dunkle Bruder des Affengottes, hat es offenbar geschafft, nach sehr langer Zeit seine getreuen Diener wieder auf die Erde zu bringen, nachdem man ihn und sein Gezücht für gut tausend Jahre verbannt hatte!«, erläuterte der Professor so sachlich, wie ihm dies in dieser Situation möglich war. Den beschwörenden Tonfall, der ihm eigentlich auf der Zunge gelegen hätte, versuchte er so gut es ging zu unterdrücken. Schließlich wusste er, dass dies Valerie eher misstrauisch machen würde.
Zamorra nahm sie bei den Schultern und drehte sie zu sich herum. Sie ließ es geschehen, wich aber dem durchdringenden Blick seiner Augen aus.
In besonders seltenen Momenten hatte Zamorra die Gabe, Gedanken lesen zu können. Aber in diesem Augenblick war das nicht der Fall. Der Geist der jungen Frau öffnete sich ihm gegenüber nicht.
Nicht einmal ihr Blick!, rief sich der Meister des Übersinnlichen in Erinnerung.
»Ich habe keine Ahnung, wie ich Ihnen helfen könnte«, sagte Valerie schließlich, nachdem sie sich gefasst hatte. »Ansonsten bin ich Ihnen sehr dankbar dafür, dass Sie mich eben vor diesen…«, sie suchte nach dem passenden Wort, »… Kreaturen geschützt haben. Ich hätte nicht gewusst, wie ich mich gegen sie hätte verteidigen sollen.«
»Sie hätten nicht den Hauch einer Überlebenschance gehabt.«
»Ich weiß nicht, ob Sie gefunden haben, was Sie suchen, Professor Zamorra. Aber ich für mein Teil werde mich jetzt davonmachen. Nicht eine Sekunde länger als unbedingt nötig will ich in diesem Gemäuer bleiben.«
»So schnell wieder auf und davon?«, wunderte sich Nicole. »Im Grunde genommen haben Sie uns noch nicht einmal gesagt, was Sie letztlich hier wollten.«
»Dafür muss ich mich auch wohl kaum rechtfertigen. Schließlich…«
»… sind Sie Pierre de Bressacs Erbin, ich weiß«, vollendete Nicole den Satz an Valeries Stelle.
Die junge Frau verdrehte genervt die Augen.
Zamorra fragte sich, was es letztlich sein mochte, das ihr so auf den Wecker ging.
Jemand, der auf Grund seines ersten übernatürlichen Erlebnisses unter Schock stand, reagierte zweifellos anders, als es bei Valerie zu vermuten war. Zamorra hatte ungezählte Beispiele dafür erlebt. Es war nicht selbstverständlich zu akzeptieren, dass es Mächte im Universum gab, die weit über das hinausgingen, was menschliche Wissenschaft und menschliche Erkenntnis zu erklären vermochten. Für manchen brach zunächst einmal ein komplettes Weltbild zusammen, wenn er zum ersten Mal Nachtkreaturen wie einen geflügelten Lemuren oder anderen Alptraumgeschöpfen begegnete.
»Ich kann Ihnen nicht viel über meinen Vater und seine Studien sagen«, behauptete Valerie.
Danach hat doch noch keiner von uns gefragt , dachte Zamorra etwas erstaunt. »Immerhin scheint Sie das Auftauchen dieser lemurenhaften Ungeheuer nicht im mindesten in Ihrem Realitätsempfinden beeinträchtigt zu haben«, stellte er kühl fest.
Sie schluckte.
Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »Wie Sie ja bereits wissen, trage ich einen anderen Namen als mein Vater. Meine Mutter trennte sich früh von ihm, als sie erkannte, dass er sich mit Mächten einließ, die…« Sie musste schlucken, ehe sie schließlich fast tonlos weitersprach. »… Mächtèn, die böse sind - wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Das tue ich sehr wohl.«
»Bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr hatte ich überhaupt keinen Kontakt zu meinem Vater. Meine Mutter fürchtete immer, dass ich auch in den Bann dieser dunklen Mächte geraten könnte, sobald er die Gelegenheit hätte, mich zu beeinflussen. Aber irgendwann interessierte es mich einfach, wer mein Vater war und mit welch obskurem Forschungsgegenstand er sich beschäftigte.«
»Durchaus verständlich«, kommentierte Nicole. »Sie nahmen also von sich aus Kontakt mit ihm auf?«
»Ja, genau so war es. Es war ja nicht schwer, ihn zu finden. Er machte im Laufe der Zeit immer wieder Schlagzeilen. Immer wieder waren seine Thesen Auslöser von Debatten - später galt er dann wohl nur noch als exzentrischer Spinner und Außenseiter, dessen Forschungen niemand mehr unter die Rubrik Wissenschaft subsumiert hätte.«
»Ja, Forschungen im Bereich des Übersinnlichen bekommen leider noch lange nicht die Anerkennung, die sie eigentlich verdienten«, konnte Professor Zamorra aus
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