0869 - Der Affengott
Lemurenbestien ihn zerfetzten?«, fragte Valerie.
François Lon bedachte die junge Frau mit einem sehr ernsten Blick. Was stimmt denn jetzt auf einmal nicht?, durchfuhr es sie siedend heiß. Habe ich irgendetwas Falsches gesagt?
»Nagas sind keine sklavenhaften Dienstgeister«, erklärte François Lon. »Sie lassen sich zwar beschwören, und man kann sie um ihren Schutz bitten. Aber sie entscheiden selbst, was sie tun oder lassen, wem sie gehorchen und wem nicht.«
Valerie schluckte.
François Lons Worte waren für sie wie ein Keulenschlag vor den Kopf.
»Heißt das, die Nagas haben sich geweigert, meinen Vater zu schützen, als das Verhängnis in Form dieser geflügelten Bestien über ihn hereinbrach?«
»Pierre wusste, dass kein Naga ihn schützen würde«, erklärte François Lon. »Sie schützen grundsätzlich niemanden, der sich mit jenen unaussprechlichen Mächten eingelassen hat, von denen dein Vater glaubte, er könnte sie beherrschen.«
»Du hast das auch geglaubt«, stellte Valerie fest.
François Lon nickte. »Ja, aber ich habe rechtzeitig erkannt, dass dies ein Irrweg war.«
»Im Gegensatz zu meinem Vater«, flüsterte Valerie beinahe tonlos.
François widersprach nicht.
Spürst du nicht den Widerwillen, der sich in dir gegen die Nagas regt?, wisperte eine Stimme in ihr, die ganz aus der Tiefe ihrer verwirrten Seele kam. Vielleicht ist das schon ein Zeichen dafür,; dass das Böse langsam die Herrschaft über dich gewinnt , fuhr diese Stimme dann fort.
Sie griff in ihre Jeanstasche und fühlte in sich plötzlich den Wunsch aufkeimen, ihr Naga-Amulett hervor zu reißen und von sich schleudern.
Aber hatten dann die Mächte des Bösen nicht erreicht, was sie wollten? War sie dann der Finsternis nicht erst recht schutzlos ausgeliefert?
Valerie schluckte und presste die Lippen so doli aufeinander, dass es schon beinahe schmerzhaft war.
Ihre Hand umschloss in der Jeanstasche das Naga-Amulett und holte es hervor.
Nein, gib dieser Regung nicht nach!, versuchte sie sich einzureden, während sie gleichzeitig spürte, wie ihr Widerstand immer schwächer wurde. Ihre eigenen Argumente erschienen ihr auf einmal nicht mehr plausibel, und eine seltsame Gleichgültigkeit überkam sie.
Es war ihr klar, dass sie dagegen ankämpfen musste. Das kalte Etwas in der Tiefe ihrer Seele breitete sich aus, nahm immer mehr Raum in ihrem Inneren ein und drohte jedes Gefühl, jede Empfindung, alles, was ihre Persönlichkeit ausmachte, langsam erstarren zu lassen.
Die Faust, mit der sie das Amulett hielt, zitterte. Trotz der Hitze überzog eine Gänsehaut ihre Unterarme. Sie fühlte eine Kälte ihren gesamten Körper erfassen, die mit der abnormalen körperlichen Reaktion auf einen Temperaturunterschied nichts gemein hatte.
Sie öffnete die Hand.
Rang noch mit sich.
François Lon trat zu ihr, schloss ihre Hand wieder. »Behalte das, solange es dir irgendwie möglich ist und du es ertragen kannst, Valerie!«
Seine eindringlich gesprochenen Worte sorgten dafür, dass sie wieder klar denken konnte.
»Willst du nicht die Fenster schließen?«, fragte sie.
François ging zum Fenster und zog die Lamellen hoch. Die schon tief stehende Sonne blendete. Jetzt erst bemerkte Valerie die gusseisernen Stäbe, die von außen angebracht waren.
»Die Mächte des Bösen lassen sich durch so etwas nicht aufhalten, aber es gibt mir ein gewisses Gefühl der Sicherheit. Lass uns jetzt nach unten gehen. Ich werde nach einem Weg suchen, um deine Seele vielleicht doch noch zu retten.«
»Und…«
»… falls das nicht gelingen sollte?«
Valerie nickte.
»Keine Sorge, ich werde dich töten, bevor es zu spät ist und die Dämonenkräfte in dir die Oberhand gewinnen…«
***
Etwas klatschte gegen die Gitterstäbe, krallte sich daran fest. Die rot glühenden Augen eines Lemuren stierten Valerie und François entgegen.
Alle vier Krallenhände klammerten sich an die Stäbe. Aus der Verdickung am Schwanz fuhren die Stacheln aus.
Die Kreatur der Nacht riss ihr Maul auf und bleckte die Reißzähne. Ein markerschütterndes Kreischen stieß das Wesen aus. Zwei weitere geflügelte Affen flogen herbei und krallten sich an den Gitterstäben fest. Einer von ihnen war klein genug, um ins Innere des Hauses zu gelangen.
Blitzschnell schnellten die Kobraköpfe der Nagas aus dem Holz heraus und bissen zu.
Der Lemure stieß einen Schrei aus.
Seine Körpersubstanz zerfiel zu faulig riechendem Staub, der auf den Boden rieselte.
Weitere Lemuren
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