0872 - Der Templer-Friedhof
Dieser hier aber war zu weich, und der Abbé war bereits mit dem rechten Bein zu tief eingesackt.
Er war nicht mehr schnell genug, konnte sich nur zur Seite drehen, doch das half nichts.
Die Knochenklaue erwischte seinen rechten Ärmel, an dem sie sich eisern festklammerte.
Der Abbé wurde umgerissen.
Plötzlich lag er auf dem Boden. Er war zudem unglücklich gefallen und hatte die rechte Hand mit dem Revolver in die weiche Erde hineingerammt.
Dann spürte er die Klauen auf seinem Rücken…
***
Ich wollte nicht zugeben, daß ich mir etwas zuviel vorgenommen hatte, deshalb schleppte ich den Verletzten weiter. Ich hatte ihn über die rechte Schulter gelegt, es war für mich am besten, aber er schien schwerer und schwerer zu werden. Desgleichen ermüdeten meine Schritte, ich sank tiefer in den weichen Boden ein, denn das Lager hatte ich längst verlassen, und vor mir lag der dunkle Hügel, den ich hinaufgehen mußte. Von meinem Freund Bloch hatte ich nichts mehr gesehen. Ebenso war Prinz Mleh verschwunden, aber ich wußte, wo ich sie finden konnte.
Godwin de Salier stöhnte. Hin und wieder sprach er auch flüsternde Worte. Er bat mich, ihn liegenzulassen. Er betete auch, dann sprach er wieder mit mir, nur erhielt er keine Antwort. Jedes Wort wäre eine Kraftvergeudung gewesen, ich schleppte ihn stumm durch eine Luft, die den Namen nicht verdiente.
Hügelabwärts wehte mir der widerliche Geruch vom alten Templer-Friedhof entgegen. Auch er trug dazu bei, mir einen Teil des Atems zu nehmen, doch das störte mich nicht.
Ich setzte den Weg fort, auch wenn ich manchmal das Gefühl hatte, in einen Kreisel zu geraten.
Den Schuß hörte ich trotzdem!
Für einen Moment blieb ich stehen. Hob den Kopf an, hörte mein eigenes Keuchen. Ich wußte, daß der Abbé geschossen hatte, und ich machte mir jetzt Vorwürfe, ihn allein gelassen zu haben.
Es hatte alles keinen Sinn, ich mußte mich mit den Tatsachen abfinden, und dieser Schuß hatte weitere Reserven in mir mobilisiert. »Wir schaffen es!« keuchte ich, wobei ich mehr mich selbst als den Templer meinte.
De Salier dachte anders. »Laß mich doch hier liegen!« flehte er. »Bitte laß mich hier liegen und sterben.«
»Nein!«
Ob ihn die Antwort geschockt hatte oder nicht, wußte ich nicht. Jedenfalls wußte er jetzt, daß ich weitermachen würde, und ich kletterte wieder über den weichen Hangboden hoch.
Ich kam einigermaßen voran und würde auch den Rand erreichen. Ich mobilisierte weitere Kraftreserven, denn ich dachte auch an den Abbé, der auf dem Friedhof gegen Feinde zu kämpfen hatte.
Wieder fiel ein Schuß! Ich fluchte.
Sekunden flossen vorbei. Keuchend bewegte ich mich weiter. Ich hatte mich jetzt nach vorn fallen lassen. Mehr kriechend als gehend legte ich den weiteren Weg zurück und hörte noch einen Schuß.
Verdammt, ich war noch zu weit weg.
Aber ich sah den Rand bereits.
Und ich hörte den Schrei des Templers!
***
Suko saß und schaute!
Er hatte das Gefühl, über dem Geschehen zu schweben, das sich völlig verändert hatte. Es gab kein Lager mehr, es war unter oder um ihn - er wußte es nicht genau - nur die düstere Fläche war zu sehen, auf der sich, wie auf einer Bühne, die Akteure bewegten.
Er besaß den richtigen Überblick.
Suko sah seinen Freund John, wie er sich mit einem Verletzten abmühte und ein Gebiet erreichen wollte, das auch Suko als einen Totenacker identifiziert hatte. Sogar bleiche Knochen ragten wie ein makabrer Gruß aus der Erde.
Der Abbé hatte den Friedhof als erster erreicht, und dort mußte er sich zum Kampf stellen.
Zwei Gegner wollte er töten. Einen konnte er niederschießen, den anderen ließ er laufen.
Suko, der Beobachter in einer anderen Zeit, schaute der rennenden Gestalt nach und sah sie in der Dunkelheit verschwinden, als wäre sie von dieser aufgesaugt worden. Dieser Mensch bildete für Bloch keine unmittelbare Gefahr.
Anders verhielt es sich mit dem Skelett. Es folgte einem unheimlichen Drang, denn es kam näher und näher an den Abbé heran. Seine Schritte waren klobig, trotzdem weit, und die Distanz zwischen beiden schmolz rasch.
Bloch schoß. Er traf, doch er erreichte nichts. Mit einer normalen Kugel war der Knöcherne nicht zu stoppen, und auch eine zweite Kugel konnte ihn nicht aufhalten.
Flieh doch! Flieh…
Der Abbé konnte Sukos Worte nicht hören. Er hatte sie nicht gerufen, sie waren nur mehr ein Produkt seiner Gedanken. Ob es den Abbé erreicht hatte oder nicht, das konnte er
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