0872 - Der Templer-Friedhof
Konzentration, aber er war auch soweit, daß er sprechen konnte. »Ich denke, ich schaffe es, John. Da ist etwas zu spüren, eine Verbindung zwischen mir und dem knöchernen Rächer. Ich glaube, wir können ihn finden. Wir werden wegsacken, wir werden in seiner Zeit landen, das kann ich nur hoffen.«
Ich enthielt mich einer Antwort, aber ich mußte dem Templer recht geben, denn auch mich hatte es erwischt. Nicht so stark wie den Abbé, trotzdem war die andere Kraft an und auch in mir.
Ich schaute nach vorn.
Noch immer befanden wir uns im Büro des Abbés. Nur hatte sich seine Perspektive verändert. Alles war dichter geworden, da schienen die Wände näher zusammenzurücken. Der Boden war vorhanden, aber er hatte seine Dichte verloren. Er war mit einem Schleier vergleichbar. Es kam mir vor, als wäre unsere Zeit, die Gegenwart, unter Druck geraten, um zurückgeschoben zu werden.
Weit weg…
Auf meinem Kopf lastete ein immenser Druck. Ich holte Atem und merkte, wie schwer es mir fiel.
Mein Herz klopfte schneller, wobei ich daran dachte, daß dieses starke Klopfen auch eine gewisse Angst in mir produzierte. Ich überließ mich nicht gern anderen Kräften, aber meine Gedanken waren plötzlich verschwunden, weil ich mich drehte.
Urplötzlich war ich in diesen Kreisel hineingeraten. Auch wenn ich es jetzt gewollt hätte, ich hätte mich nicht mehr von diesem Platz erheben können, der Sessel spielte seine Magie aus.
»Wir schaffen es, mein Gott, wir schaffen es…« Das war die Stimme des Abbés, die so nah und zugleich so irrsinnig fern war.
Das Zimmer war zu einem Kreisel geworden, an deren Außenseiten ich plötzlich Bilder sah.
Eine andere Landschaft, eine andere Welt, sehr düster, sehr kahl und abstoßend wirkend.
Momente später war es passiert.
Da hatten wir unsere Welt verlassen und wurden zu Spielbällen der Zeiten…
***
Der Schauer packte uns wie ein gewaltiger Sturmwind. Es fiel uns schwer, einzugestehen, daß wir unsere Zeit verlassen hatten und in einer anderen gelandet waren. Es gab auch keinen Sessel mehr und kein Zimmer, in dem er gestanden hatte.
Alles war anders geworden!
Wir hielten uns in einer Fremde auf, deren Umgebung uns stark bedrückte. Es lag sicherlich nicht nur an der Wärme und am Staub, es war auch etwas anderes, das uns gefangennahm.
Ich schob es auf die Atmosphäre.
So düster, so depressiv, wie eingetaucht in eine gewaltige Welt ohne Freude und Licht, in der es letztendlich nur noch tiefe Schatten gab. Es war eine Welt, die ich zwar nicht kannte, die ich jedoch für einen Moment gesehen hatte, als das silberne Skelett verschwand. Als ich einen Blick in den wie durch Feuer gefärbten Himmel warf, sah ich die trägen Vögel, die sich kaum bewegten und in der Luft hingen, als würden sie von Bändern gehalten.
Aus ihren pupillenlosen Augen glotzten sie stoisch auf uns nieder, als würden sie darauf lauern, daß wir endlich starben.
Der Abbé stand neben mir. Er schaute wie traumverloren auf seinen Würfel, der noch immer zwischen seinen Handflächen zu kleben schien. Er hatte die Farbe des Himmels angenommen, der wiederum sah nur so aus, weil die Sonne ihn verfärbte.
»Jetzt hast du deinen Willen bekommen«, sagte ich zu ihm, während ich die warme Luft einatmete, die widerlich nach Verwesung roch.
»Stimmt.«
»Dann wollen wir uns mal umschauen.«
»Moment noch, John.« Bloch steckte den Würfel ein und hielt mich fest. »Wenn mich nicht alles täuscht, befinden wir uns auf einem alten Friedhof. Denk nur an den Geruch. Es ist ein Friedhof ohne Grabsteine, ein Gelände, das wie geschaffen wirkte für die Massengräber der Gefallenen. Ich denke, daß wir mitten hinein in einen der Kreuzzüge geraten sind. Wahrscheinlich in den dritten. Und die Leichen der Europäer werden in die Gruben geworfen.«
»Kann sein.«
»Vielleicht ist es auch sein Friedhof«, flüsterte der Abbé. »Meinst du den Prinzen?«
»Ja, den Verräter. Es kann doch sein, daß er seine früheren Freunde in die Falle lockt.«
»Durchaus möglich.«
»Wenn sie dann tot sind, läßt er sie herschaffen und in die Gräber werfen. Deshalb gehe ich davon aus, daß wir einen alten Templer-Friedhof gefunden haben, über den Prinz Mleh herrscht.«
Nicht schlecht gedacht. Da ich keine bessere Lösung wußte, akzeptierte ich die des Abbés.
»Ich möchte mich trotzdem umsehen.«
»Natürlich, John, komm!«
Die Aktivitäten des Templer-Führers waren mir schon unheimlich. Bloch war wirklich in Form.
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