0873 - Gabentisch des Grauens
unterhalten können.«
»Das bezweifle ich nicht, Susan.«
»Wunderbar. Dann würde es mich trotzdem interessieren, weshalb Sie immer wieder nach Marty fragen.«
»Das will ich Ihnen sagen, Susan. Ihr Sohn Marty hat versucht, meinen Sohn Johnny umzubringen…«
***
Marty Stones Zimmer lag in der ersten Etage. Es war ein großes Zimmer mit einem schief geschnittenen Fenster, das nach links abfiel und bis zum Boden hinabreichte. Durch das Fenster schaute Marty in den Garten, und wenn er den Kopf senkte, konnte er auch die eine Seite des Pools sehen, wo seine Mutter mit dem Besucher saß.
Marty stand vor der Scheibe, die Hände waren zu Fäusten geballt. In seinem Gesicht zuckte es hin und wieder, ansonsten blieb es starr. Daß dieser Typ gekommen war, damit hatte er gerechnet.
Johnny hatte also geredet, und Marty fragte sich, weshalb er sich gerade ihn ausgesucht hatte.
Er trat vom Fenster zurück, weil er nicht durch einen zufällig nach oben gerichteten Blick entdeckt werden wollte. Schweiß hatte sich auf seiner Stirn gebildet, und er schaute an sich hinab.
Marty trug nicht mehr die Kluft, die er während des Unterrichts angehabt hatte. Er hatte sich landfein gemacht, wie er es immer selbst nannte. Ein schwarzer Kittel, eine schwarze Hose, die genau zu seinem schwarzen Haar paßte, das sehr kurzgeschnitten war. Zudem waren die Kopfseiten noch rasiert worden, und die helle Haut dort bildete zum Haar einen scharfen Kontrast. Mit Gel hatte Marty nicht gespart, da er das Haar formen wollte.
Auch Schmuck hatte er angelegt. So trug er die Kette mit dem Kreuz ebenso um den Hals wie die Ketten mit den Kitschbildern der Heiligen, und selbst auf den Rosenkranz hatte er nicht verzichtet.
Er hatte ihn wie einen Gürtel um seinen Leib gebunden. Zwar befand er sich allein im Zimmer, doch nie ohne Musik. Seit Wochen schon liefen bei ihm immer nur dieselben CDs. Innerhalb eines Jahres hatten sie die Charts gestürmt, es war unbegreiflich, aber die Szene fuhr nun mal auf geistliche Musik ab. Alte gregorianische Choräle und Gesänge, wenn möglich noch intoniert von Absolventen eines russischen Konservatoriums, das waren die Hits der Stunde. Da geriet die Szene in Action und in Ekstase zugleich, wenn diese Gesänge durch die neuen Discos und Restaurants hallten und für den nötigen Kick sorgten.
Man ging wieder in die Kirche, aber man feierte die nächtlichen Feten nach eigenen Ritualen. Vieles war plötzlich in geworden. Da wurden die Heiligenbilder ebenso verehrt wie nachgemachte Ikonen, man nahm den Geruch des Weihrauchs wie eine Droge auf und verschwand auch in den Beichtstühlen, die in sakrale Separées umgetauft worden waren.
Religionsmode, Heiligen-Parties, das Geschäft und die Szene boomten, und immer mehr Jugendliche fanden sich auf diesem Trip zusammen. Es gab keine Gewalt, man gab sich der Meditation hin, man lauschte den Klängen der Acappella-Gesänge aus den kräftigen Kehlen der echten Mönche.
Und man trug die Kreuze mit einem besonderen Stolz, denn sie veränderten den Menschen, und sie wurden nicht nur als Modeschmuck angesehen. Durch Kreuze, Rosenkränze und Gebetskissen sollte die eigene Spiritualität geweckt werden, wozu auch die entsprechenden Kerzen beitrugen, die überall in den Discos aufgestellt wurden.
Aber nicht nur da.
Marty Stone liebte ihr Licht so sehr, daß er sie auch in seinem Zimmer verteilt hatte.
Er setzte sich auf das Bett. Das Gesicht vergrub er in den Händen. Nach einer Weile schaute er wieder nach vorn, und sein Blick fiel dabei gegen die Wand, die er mit Heiligenbildern tapeziert hatte. Sogar eine kleine Altarbank hatte er auf einem Flohmarkt aufgetrieben und sie in sein Zimmer gestellt.
Conolly war da.
Der Gedanke wollte ihm nicht aus dem Kopf. Es war ein Fehler von ihm gewesen, ein großer Fehler sogar, aber er hatte sich nicht mehr halten können. Plötzlich war es über ihn gekommen, und aus seinem Innern war es wie eine Flamme hochgeschossen.
Er hatte Johnny töten wollen!
Der Drang war unheimlich stark gewesen. Er hatte alles andere überdeckt, aber Marty glaubte daran, daß es nicht er selbst gewesen war, der so dachte.
Da hatte etwas in ihm gehockt. Eine Kraft, mit der er nicht zurechtkam, etwas Fremdes, eine Stimme, etwas sehr Böses.
Er hatte nicht mal ein schlechtes Gewissen!
Eigentlich hätte er darüber erschrecken müssen, aber Marty tat es trotzdem nicht. Er wußte, daß er sich in eine Welt begeben hatte, in der einiges nach anderen Regeln
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