0875 - Die Rückkehr des Jägers
nachgeben. Erst am Vorabend hatte der grün geschuppte Tollpatsch beim Versuch, den Bewohnern von Château Montagne ein neues Kunststück vorzuführen, ein halbes Dutzend wertvoller antiker Vasen zerstört. Es war kein Geheimnis, dass sich Fooly manchmal bewusst schusselig anstellte, um die anderen zu amüsieren. Aber was zu weit ging, ging zu weit. Und deshalb griff Zamorra jetzt zu einer pädagogischen Maßnahme, die ihm eigentlich völlig gegen den Strich ging. Absolutes Fernsehverbot!
Jetzt musste er es nur noch durchsetzen. »Okay, dann mach sonst irgendwas Sinnvolles. Hauptsache, es hat nichts mit unbezahlbaren alten Vasen oder der Speisekammer zu tun. Oder dem Fernseher!«
Fooly wollte gerade frustriert mit seiner Fernsehzeitung von dannen ziehen, als der Parapsychologe das listige Blitzen in den Augen des Jungdrachen sah. »Aber, Chef… ich dachte, er wäre euer Freund!«
Zamorra verstand nur Bahnhof. Und ihm ging es nicht allein so.
»Eure Schuppigkeit reden mal wieder in Rätseln«, schaltete sich Nicole Duval ein, die dem absurden Dialog bisher nur amüsiert gelauscht hatte. » Wer ist unser Freund?«
»Na er!« Fooly hielt Mademoiselle Nicole , wie er Zamorras Sekretärin, Lebensgefährtin und Partnerin im Kampf gegen die Mächte des Bösen nannte, auffordernd seine zerknüllte Zeitschrift hin. Das Cover zierte ein Porträt von Jean Fournier.
»Die Rückkehr des Jägers , großer Exklusivbericht. Lesen Sie alles über das Fernsehereignis des Jahres!« Fassungslos zeigte Nicole Zamorra die Zeitschrift. »Hast du davon gewusst?«
»Bis jetzt noch nicht«, erwiderte der Parapsychologe. Und er wusste auch nicht, ob er sich jetzt darüber freuen sollte. Er mochte Jean, aber wo der Jäger auftauchte, gab es meistens Ärger. Und davon hatte er in der letzten Zeit mehr als genug. In Schottland, Peru, Armakath oder anderswo.
»Aber es steht doch schon seit Monaten in allen Zeitungen«, protestierte Fooly. »In zwei Wochen startet die große Comeback-Show. Und bis dahin wiederholen sie all seine Sendungen - die nächste in genau fünf Minuten.«
»Es mag Eurer Drachigkeit nicht aufgefallen sein, aber wir hatten in den letzten Monaten ein bisschen was anderes zu tun, als besonders aufmerksam die Medienseiten zu studieren«, sagte Nicole.
Das war zweifellos richtig. Trotzdem hatte Zamorra ein schlechtes Gewissen. Ihr besonderer Beruf ließ den Dämonenjägern kaum Zeit, Beziehungen zu pflegen, die nicht direkt mit ihrer Arbeit zu tun hatten. Viele Freundschaften hatten darunter gelitten oder waren über das Anfangsstadium nie hinausgekommen. Nach Berakaas Tod hatte sich Zamorra oft genug vorgenommen, den Jäger anzurufen, doch immer wieder war ein neuer Fall dazwischengekommen. Und jetzt war der ehemalige TV-Star ins Rampenlicht zurückgekehrt, und er hatte es nicht einmal mitbekommen. Aber das ließ sich ja nachholen.
»Haben wir eigentlich Bier und Chips im Haus?«
»Wie meinen?« Nicole starrte ihren Lebensgefährten entgeistert an. »Mutierst du jetzt auch zum Fastfood-süchtigen Couch-Potato?«
Zamorra grinste breit. »Die letzten Wochen waren anstrengend genug. Ich denke, es ist Zeit für ein paar entspannte Fernsehabende.«
***
Irgendwann Mitte der 60er Jahre
Der elfjährige Junge hatte längst keine Tränen mehr. Paul Gautard wusste nicht, wie lange er sich schon an diesem furchtbaren Ort befand, der in seiner Grausamkeit die schlimmsten Beschreibungen seines Vaters weit übertraf. Es mussten Wochen oder sogar Monate vergangen sein, seit Stygia sie entführt hatte, und seitdem hatte die Dämonin jede Gelegenheit genutzt, um Pauls Eltern mit unbeschreiblichem Sadismus zu quälen.
Nur den Jungen ließ sie seltsamerweise in Ruhe. Paul wusste nicht, ob es ein letzter Rest von Menschlichkeit war, der sie darin hinderte, ein Kind zu foltern, oder ob sie sich nur das Schlimmste bis zum Schluss aufsparte. Und er zwang sich, auch nicht weiter darüber nachzudenken. Denn selbst ohne körperliche Misshandlungen war das, was er durchleiden musste, schlimm genug.
Sie befanden sich noch immer in diesem Raum, dessen Wände aus Flammen zu bestehen schienen. Die winzigen, trollartigen Diener der Dämonin hatten sie mit schweren Ketten gefesselt, und das Einzige, was sie in den letzten Wochen zu sich genommen hatten, war fauliges Wasser und ein widerwärtig schmeckender grauer Brei, der sie gerade so am Leben hielt.
Und leben mussten sie, damit Stygia weiter ihre grausamen Spielchen mit ihnen treiben
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