0876 - Die unheimliche Macht
hielt ich geschlossen. Eigentlich unfreiwillig. Es kam mir vor, als wären die Lider zugeklebt worden.
Außerdem war mir kalt!
Jeder friert einmal, selbst im warmen Sommer kam dies vor, wenn man sich eine Grippe oder Erkältung zuzog. Aber dieses Frieren war etwas anderes. Ich konnte die Kälte nicht beschreiben. Sie war wie eine kalte Stahlplatte in meinen Körper eingedrungen und hatte nichts, aber auch gar nichts ausgelassen. Von den Haaren bis zu den Zehen hatte sie sich ausgebreitet, und ich empfand sie als einen Feind.
Ja, sie war ein Feind. Sie hielt mich fest, sie machte mich wie tot, ich konnte nichts tun, nicht einmal die Augen öffnen, ich war völlig erledigt.
Dabei wollte ich nicht mal schlafen. Mein Gefühl zu beschreiben, fiel mir schwer. So mußte sich jemand vorkommen, der nicht wußte, ob er Männlein oder Weiblein ist. Ich war kalt, und ich war zugleich lethargisch, wobei ich meinen Geist trotzdem als hellwach einstufte.
Ich konnte denken, was ein großer Vorteil für mich war. Deshalb wollte ich mich auch zurückerinnern, denn auf irgendeine Art und Weise mußte ich ja in diesen Zustand hineingeraten sein.
Aber wie? Mir fiel es nicht ein. Ich hatte das Gefühl, als würden in meinem Hirn zwei Schwämme die aufkeimenden Gedanken aufsaugen.
Ich saß fest.
Die Treppe hatten wir hinter uns gelassen. Auf dem Weg nach unten hatten die beiden Träger bisher geschwiegen. Erst jetzt, als wir ins Freie gingen, sagte der vordere der Männer wieder etwas. »Auf seiner Haut liegt eine richtige Eisschicht. Den müssen sie aus dem Kühlhaus geholt haben.«
Der andere lachte.
Die beiden ahnten nicht, daß ich sie hören konnte. Ich hätte ihnen auch etwas anderes erzählt, aber als Bewegungsunfähiger war ich in ihrer Gewalt.
Wir verließen das Haus. Wieder mußten wir eine Treppe hinab. Daran konnte ich mich seltsamerweise erinnern, aber ich war die Treppe in eine andere Richtung gegangen.
Da ich die Augen zwangsläufig geschlossen hielt, kam ich mir vor, als hätte man mein Innenleben hinter einem dunklen Vorhang versteckt, der sich dann aber lichtete, als wir ins Freie traten, obwohl ich nichts sehen konnte.
Es wurde nur etwas heller vor den geschlossenen Augen. An Tageslicht dachte ich nicht. Es war dunkel draußen, es mußte also noch Nacht sein. Wenn ich trotzdem die Helligkeit merkte, dann wurde sie bestimmt von irgendwelchen künstlichen Lichtquellen abgegeben.
Auch andere Stimmen waren um mich herum. Eine davon sprach besonders laut, und sie steigerte sich noch, als der Sprecher auf mich zukam. »Verdammt, John, was ist mit dir?«
Suko - Himmel, es war Suko. Ich hätte ihm so gern geantwortet, aber ich konnte nicht. Auch die Lippen klebten aufeinander. Wenn es Eis gewesen wäre - normales Eis - hätte es zwischen den Lippen schon tauen müssen, nur war das nicht der Fall.
»Bleiben Sie aus seiner Nähe, Mister!«
»Das werde ich nicht«, sagte Suko. »Ich bin sein Kollege und auch sein Freund.«
»Ach so.«
»Und ich werde auch mit im Wagen sitzen, darauf können Sie sich verlassen.«
»Dann müssen Sie sich aber klein machen.«
»Keine Sorge, Sie werden mich kaum sehen.«
»Wie Sie wollen, Mister.« Die Stimme sprach weiter. »Achtung jetzt! Sieh zu, daß du die Trage genau in die Schiene bekommst.«
Ich spürte den ersten Ruck des Kontakts. Die Männer hatten Routine darin, es ging alles wunderbar glatt, und meine Trage wurde in den Krankenwagen geschoben.
»Moment noch.« Suko kletterte mir nach, bevor die Türen wieder geschlossen wurden.
Ich hätte so gern gelächelt und Suko durch die Geste bewiesen, wie froh ich war, daß ich ihn an meiner Seite wußte. Aber nichts, rein gar nichts gelang mir.
Im Wagen hockte auch ein Arzt. Suko sprach ihn mit Doktor an. Der Mann gab kaum eine Antwort, er wollte nur nicht gestört werden und begann mit den ersten Untersuchungen.
Ich spürte seine tastenden Hände an der Stirn, am Puls, auch über dem Herzen. Ich wurde an einen Tropf angeschlossen, nachdem man mir den linken Ärmel in die Höhe geschoben hatte, und der Doktor redete von einer unerklärlichen Kälte.
»Wie meinen Sie das denn?« fragte Suko.
»Kann ich Ihnen nicht genau sagen. Jedenfalls ist die Kälte für mich unerklärlich.«
»Sie hat also nichts mit dem normalen Eis zu tun, das wir im Winter erleben.«
»Wohl nicht.«
»Können Sie sagen…«
»Nein, ich kann es nicht, Inspektor. Es ist unmöglich. Erst in der Klinik werden wir ihn genauer untersuchen
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