0876 - Die unheimliche Macht
können.«
»Gut…«
»Eben.«
Ich habe ja nicht zum erstenmal an einem Tropf gehangen, aber nie habe ich es so deutlich gespürt.
Hier merkte ich, wie die fremde Flüssigkeit durch meine Adern strömte, die es allerdings nicht schaffte, die Kälte zu durchbrechen.
Suko wollte nicht hinnehmen, daß ich wie ein Toter auf der Trage lag. Aus nächster Nähe sprach er mich an. »John, kannst du mich hören? Bitte, ich möchte, daß du mir eine Antwort gibst. Wenn du mich hören kannst, gib mir ein Zeichen.«
Ich gab ihm kein Zeichen - weil ich es nicht konnte. Ich war einfach von der Rolle. So ähnlich mußte sich jemand fühlen, der lange Zeit in einer Tiefkühltruhe gelegen hatte und an dem nun das Leben vorbeiging. Ich war auf ärztliche Hilfe angewiesen und mußte mich darauf verlassen.
Die Sirene auf dem Dach des Wagens war eingeschaltet worden. Ich hörte ihren wimmernden Klang, lag in der grauen Dunkelzone und schaffte es noch immer nicht, mich an gewisse Dinge zu erinnern. Ich wußte einfach nicht, wie ich da hineingeraten war.
Da hatte jemand den Vorhang zugezerrt, und ich konnte mir vorstellen, daß es eben mit der Kälte zusammenhing.
Suko faßte mich an. Sein Finger glitt über meine Stirn. Das gefiel wiederum dem begleitenden Arzt nicht. »Nehmen Sie die Hand da weg, Inspektor. Um diese Dinge werden sich meine Kollegen kümmern.«
»Schon gut, ich dachte nur…«
»Nicht denken. Versuchen Sie es lieber mit beten.«
Sicherlich erschrak Suko, was ich leider nicht sehen konnte, aber ich hörte seine Frage. »Steht es denn so schlimm um meinen Freund?«
»Ich kann nichts sagen, aber diese Vereisung ist mir einfach ein Rätsel, Inspektor.«
»Ja, schon gut.« Sukos Stimme klang deprimiert.
Und ich dachte nur: Verdammt, verdammt…
***
Der Inspektor kam sich vor wie ein armer Sünder, als er allein auf der Bank im Gang zur Intensivstation saß, in die sein Freund John Sinclair gebracht worden war. Ein Krankenhaus in der Nacht kann deprimierend sein, so kalt und leer, auch mal unheimlich, wenn nur die Hälfte der Lampen brannte und kaum was los war. Die Tür zur Intensivstation war mit einer Glasfassung bestückt, und ließ das dahinter schimmernde Licht grünlich erscheinen.
Es war alles getan worden. Man hatte sogar einen Spezialisten aus dem Bett geholt, einen Professor, der sich als Reanimationsfachmann einen Namen gemacht hatte. Ihm war es bereits mehrmals gelungen, klinisch Tote ins Leben zurückzuholen. Auf die Erfahrungen dieses Mannes wollten die Ärzte bauen, und auch für Suko war der Professor die letzte Hoffnung.
Er hieß Jennings, und Suko hatte den Eintreffenden nur kurz zu Gesicht bekommen.
Jetzt saß Suko auf der Bank und wartete auf das erste Ergebnis. Suko sollte nicht lange allein bleiben, denn Sir James war von ihm alarmiert worden, und der Superintendent hatte sein schnellstmöglichstes Kommen zugesagt.
Seine Stimme hatte am Telefon sehr betreten geklungen, wie bei einem Menschen, der sich selbst die Schuld für ein bestimmtes Ereignis gab. Aber das war Sukos Annahme.
Sir James hatte normalerweise die Ruhe weg. In dieser Nacht allerdings glaubte er unter Stromstößen zu stehen. Er kam mit den Ereignissen nicht zurecht. John Sinclair war von einer Macht oder Kraft erwischt worden, die man als unerklärlich ansehen konnte. Er war von zwei jungen Leuten gefunden worden. Über die genauen Umstände wußte Suko nicht Bescheid. Sir James hatte ihm gesagt, daß er sich noch darum kümmern würde, um bei seinem Besuch nicht mit leeren Händen dazustehen.
Das war natürlich auch zeitintensiv, aber für Suko war es schwer, dies zu akzeptieren. Es mußte weitergehen, so schnell wie möglich. Man konnte nicht auf der Stelle stehenbleiben, dieser Fall würde sicherlich seine Kreise ziehen. Sie standen am Beginn, sie würden noch wahnsinnige Dinge erleben und…
Er schreckte hoch. Die Tür zur Intensivstation wurde geöffnet.
Suko sah eine koreanische Krankenschwester, die das Mundtuch abnahm und tief durchatmete.
Er war halb in die Höhe gekommen, als er die kleine, dunkelhaarige Person ansprach. »Was ist mit John Sinclair? Geht es ihm schon besser? Hat man die Vereisung lösen können?«
Die Frau schaute ihn erstaunt an. »Welche Vereisung?«
Suko begriff. »Dann sind Sie nicht bei dem letzten Patienten gewesen, der eingeliefert wurde?«
»Nein, das bin ich nicht. Wir haben auch noch andere Notoperationen vorzunehmen. Es ging bei mir um einen Blinddarmdurchbruch und nicht
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