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0881 - Zentrum der Angst

0881 - Zentrum der Angst

Titel: 0881 - Zentrum der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Krämer
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sie schlank oder eher vollschlank war, konnte man beim besten Willen nicht sagen, denn sie trug ein bis zum Boden reichendes Kleid, das bei jeder ihrer Bewegungen in wellenartige Schwingungen geriet. Das Kleid hatte eine nachtblaue Farbe, und Artimus konnte überall darauf verstreut kleine Silbersterne erkennen. Ihr Gesicht hatte einen verzückten Ausdruck, denn sie war voll und ganz in der Musik versunken. Und das nicht nur in ihrem Bewusstsein, nein, auch ihr Körper war involviert.
    Van Zant sah die Hände der Frau, die in ständigen Bewegungen waren. Seltsamen Bewegungen… doch dann wurde dem Physiker plötzlich klar, was die junge Frau da machte: Air drumming - natürlich!
    Luftgitarre kannte jeder, hatte sicher auch annähernd jeder bereits in seinem Repertoire gehabt. Zumindest dann, wenn man sich in einem begeisternden Konzert befand, ging es mit den allermeisten Menschen durch. Die Finger zuckten und hüpften über imaginäre Gitarrenhälse, schlugen die wildesten Akkorde in das Nichts hinein.
    Luftschlagzeug… nun ja, das sah man eher selten. Und schon gar nicht in dieser Perfektion, die van Zant hier geboten wurde. Artimus konzentrierte sich auf die Fills und Breaks des Drummers, auf seine durchaus geschickten Variationen, auf seine Fähigkeit, durch Auslassung interessante Effekte zu erzielen. Die Frau spielte alles mit - alle Paradiddles in sämtlichen Ausführungen, die es so gab. Van Zant blickte zu den Füßen der imaginär Drummerin - unter dem Saum des Kleides lugten ihre nackten Zehen hervor, die in rasend schnellen Wirbeln die Fußmaschine des echten Schlagzeugers imitierten. Van Zant grinste. Das war schon beeindruckend - er war sicher, dass die junge Dame auch in der Realität eine erstaunliche gute Drummerin abgab.
    Sie war so sehr in dieser Musik vertieft, dass ihr allerdings die Enge nicht bewusst wurde, in der sie sich nun einmal befand. Es konnte gar nicht anders kommen: Ein gewagtes Luftbreak traf den Vordermann, der sich erbost umdrehte. Artimus war kein Lippenleser, doch das musste er in diesem Fall auch nicht sein. Es waren böse Worte, die da ausgepresst wurden.
    Die Barfüßige hob entschuldigend die Hände, und die Situation schien bereinigt. Auf der Bühne neigte sich die Trilogie endlich ihrem Schluss zu, was den Schlagzeuger zu besonderen Anstrengungen trieb. Er war gut, da gab es keine Frage. Zu gut, denn auch die Frau setzte zum Finale im Luftschlagen an. Dann ging alles schnell - offenbar hatte sie den Typen vor sich wieder berührt, denn der wandte sich mit hochroten Kopf zu ihr um.
    Und er schlug zu…
    Van Zant sah, wie die Zöpfe der Frau in die Höhe schnellten, dann fiel sie einfach um. Der Typ jedoch hatte nicht genug, denn er beugte sich tief zu ihr hinunter. Artimus van Zant war kein aggressiver Mann, doch die jüngste Vergangenheit hatte ihn eine Sache gelehrt. Wenn eine Situation eskaliert, dann ist jedes Zögern tödlich!
    Mit zwei Schritten war der Südstaatler hinter dem jungen Mann, fasste ihn im Nacken und zog ihn scheinbar spielerisch in die Höhe. Der Bursche war verblüfft, doch dieser Zustand dauerte nur einen Wimpernschlag lang.
    Dann flog die Faust des Typen auf Artimus' Gesicht zu.
    Und sie flog vorbei, denn der Physiker hatte seinen Kopf gedankenschnell zur Seite bewegt. Das Zischen war dicht neben seinem linken Ohr - mehr passierte allerdings nicht.
    »Du schlägst gerne Frauen, ja?« Van Zants Stimme übertönte den Lärm des Beifalls, der sich nun über die Band ergoss; die Trilogie hatte ihren Abschluss gefunden. »Das macht man nicht, hörst du? Es sei denn, die Frau ist eine Amazone, die dir gerade einen Speer in deinen Bauch rammen will.« Der Bursche verstand natürlich nicht den Sinn dieser Worte, doch das war Artimus gleichgültig. Heftig versenkte er seine Faust in der Magengrube des Gothik-Fans, der seine Augen plötzlich weit aufriss, ruckartig die Luft aus seinem nach Alkohol riechendem Mund entweichen ließ… eher er wie ein billiges Taschenmesser ganz einfach zusammenklappte. Van Zant ließ ihn zu Boden sinken.
    Niemand der Umstehenden hatte diesen Vorfall überhaupt registriert, denn die Band startete bereits übergangslos den nächsten Song.
    Artimus van Zant half der Frau wieder auf die Beine. Sie hielt sich die linke Schläfenhälfte - der Mistkerl hatte sie voll ins Gesicht geschlagen. Van Zant wies in Richtung des Ausgangs, stützte die noch immer benommene Frau, und bahnte beiden einen Weg aus der Halle. Draußen ebbte endlich

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