0887 - Blutiger Nebel
Hilfe konnte die das Schlimmste noch verhindern. Artimus realisierte entsetzt, dass seine Attacken gegen die Wurzel eine Kettenreaktion ausgelöst hatten. Die feinen Verästelungen brannten wie Zunder, steckten nach und nach auch die dicken Stränge in Brand.
Die Höhlenwände verwandelten sich binnen weniger Sekunden in flammende Flächen, von denen eine enorme Hitze abstrahlte. Gehetzt blickte sich van Zant um. In dieser Feuerhölle würden sie sterben, das war keine Frage. Und es gab nur einen einzigen Weg, dem Inferno zu entgehen - der Wurzelschacht, der zur Oberfläche führte.
Doch der Weg zum Schacht führte durch eine Hölle aus Millionen von Feuerzungen, die sich auf ihre Opfer zu freuen schienen.
Für einen Augenblick war es Artimus, als würde er ein böses Lachen hören.
Der letzte Gruß von Paroms Wurzel… es war der Gruß eines Henkers!
***
Quentin Genada war verunsichert.
In diesem Teil der Intensivstation wimmelte es für gewöhnlich vor Pflegern, Schwestern und Ärzten. Die meisten Patienten, die hier untergebracht wurden, kamen direkt von den OP-Tischen der Chirurgen. Sie bedurften einer ganz speziellen Behandlung und Überwachung, denn es kam natürlich vor, dass ein als stabil erachteter Patient urplötzlich kollabierte. Dann war Schnelligkeit gefragt - und die sofortige Verfügbarkeit von Mensch und Material. Beides war hier stets ausreichend vorhanden. Zumindest im Normalfall.
Jetzt sah das ganz anders aus. Quentin konnte ganz offen durch die Zimmer gehen, die in sich oft zu mehreren Zellen abgeteilt waren, ohne irgendjemandem zu begegnen. Dazu diese Stille. Quentin verstand nicht, warum man die Abteilung praktisch stillgelegt hatte. Hatte die Furcht vor einem neuerlichen Auftauchen des roten Nebels den Ausschlag dazu gegeben? Das würde ja bedeuten, dass man den Schilderungen seiner Lea nun Glauben schenkte.
Quentin hielt große Stücke auf Kommissar Robin - hatte Pierre noch mehr Weitblick, als Genada ihm eh zugebilligt hatte? Er selbst wusste ja nicht einmal, was er von den Phantasien seiner verstorbenen Frau zu halten hatte. Was aber auch immer wahr oder unwahr sein mochte, das würde Quentin noch in dieser Nacht herausfinden. Und wenn ihm dieser seltsame Nebel erscheinen sollte, dann würde er ihn zu bekämpfen wissen.
Er näherte sich nun dem Raum, in dem Lea gelegen hatte. Auch hier diese Stille, doch Quentin ließ sich nicht in Sicherheit wiegen. Er bewegte sich schnell, doch lautlos. Auch das musste ein aktiver Feuerwehrmann beherrschen, denn schließlich ging es nicht immer um reine Brandbekämpfung. Quentin hatte in seinen Einsätzen mehr als nur einen Selbstmordkandidaten von der Bahnsteigkante, vom Dachfirst oder einem Brückengeländer zurück ins Leben gezogen. Schnell und lautlos… wie die Indianer… das war so ein Spruch, der unter den Kollegen kursiert hatte. So mussten sie sein - und so waren sie auch.
Verlernt hatte er das noch nicht.
Durch eine offene Tür hindurch konnte Quentin in den Raum blicken, in dem seine Gefährtin diese merkwürdigen Phänomene beobachtet hatte. Über dem Türrahmen hing die großê Uhr. Sie zeigte zwei Minuten nach Mitternacht an.
00:02. Und hatte Lea nicht eben stets von diesen Minuten nach Mitternacht gesprochen? Quentin griff automatisch in die Innentasche seiner Jacke, wo seine Vergeltung darauf wartete, eingesetzt zu werden. Er war viel zu konzentriert, viel zu sehr mit sich und Lea beschäftigt, als dass er hätte reagieren können.
Eine sehnige Hand presste sich gegen seinen Mund, während sein rechtes Handgelenk gepackt wurde. Ehe Quentin Genada sich versah, lag er am Boden, unfähig sich zu bewegen, unfähig auch nur einen Ton von sich zu geben.
Sein Angreifer hatte ihn vollständig überrascht. Quentin fühlte sich in die Höhe gehoben. Eine heisere Stimme raunte ihm ein »Maul halten - mitkommen!« zu. Der Bursche musste ein Profi sein, denn ehe Genada sich versah, hatte der andere ihn durch drei Räume geschleppt. Noch immer lag die harte Hand auf Quentins Lippen, und erst jetzt war er fähig, sich die Gesichtszüge seines Peinigers zu betrachten. Es war Pierre Robin!
Der oft kauzig wirkende Kommissar brachte seine Lippen so nahe an Quentins Ohr, dass der den heißen Atem des Mannes spürte. »Was machst du Idiot hier? Willst du unbedingt deiner Frau nachfolgen?« Robin war sich klar darüber, wie hart seine Worte für einen Mann waren, der vor wenigen Stunden seine geliebte Gefährtin verloren hatte, doch nur so
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