0887 - Blutiger Nebel

Speer der Krieger. Also war sie auf andere Möglichkeiten angewiesen - auf plumpe Tricks. Sabeth ließ sich entkräftet zu Boden fallen. Der Ductor fiel darauf herein, ließ sie los. Wie ein Springteufel kam die Wächterin wieder auf die Beine, schlüpfte durch die Säulenbeine des Ductors, und war bereits einige Meter in Richtung Wurzelhöhle unterwegs, ehe der auch nur reagieren konnte. Ganz offensichtlich hatte er die Wächterin unterschätzt.
    Und für einige Sekunden fühlte sich Sabeth bereits wie die Siegerin in diesem Spiel, kostbare Sekunden, denn sie brachten einen Teil ihres alten Selbstbewusstseins zu ihr zurück. Mit weit ausholenden Sätzen stürmte sie ihrem Ziel entgegen. Gleich würde sie wissen, ob die Wurzel über die Vorfälle auf der anderen Kokonwelt informiert war. Wenn nicht, dann waren ihre Informationen vielleicht pures Gold wert.
    Dann spürte sie den brutal harten Griff der mächtigen Pranke, die sie bei der Schulter fasste, die sie herumriss, straucheln ließ - und schließlich mit aller Härte gegen die Schachtwand schleuderte. Sabeth verlor das Bewusstsein, ehe sie auch nur einen Schrei hätte von sich geben können.
    Der Ductor hob die für ihn zerbrechlich schwache Gestalt auf, warf sie sich über die Schulter. Langsam, aber zielstrebig; begann er den Weg - hinaus aus dem Schacht, direkt zur Oberfläche der weißen Stadt Armakath.
    Er hasste es, doch in Zukunft würde er noch intensiver auf die Wächterin aufpassen müssen.
    Er war sicher, dass die Frau der größte Unsicherheitsfaktor im Kokon war. Es war seine Aufgabe, solche Gefahren im Keim zu ersticken.
    Er war schließlich der Ductor…
    ***
    Artimus van Zant kämpfte um sein Leben!
    Der Sog, den Paroms Wurzel auf ihn wirken ließ, war einfach unwiderstehlich. Nicht genug damit, dass sie diese Kraft erzeugte, nein, sie legte sich den Physiker geradezu perfekt zurecht. Der Spalt in dem weit ausladenden Wurzelkorpus lag horizontal. Artimus fühlte, wie sein Körper passgenau gedreht wurde. Schulter und Hüfte waren bereits in der Öffnung verschwunden. Für Außenstehende mochte das aussehen, als wolle der Südstaatler sich wie ein Höhlenforscher in unbekanntes Gebiet zwängen. Doch von Wollen konnte keine Rede sein.
    Artimus spürte die nackte Angst in sich hochsteigen. Dieses Wurzelmonstrum wollte ihn zerquetschen! Instinktiv ließ van Zant den Schild vor seinem Körper entstehen; die Verteidigungswaffe der Krieger der weißen Städte funktionierte auch im Kokon, denn sie konnte ja zum Schutz desselben dienen. Die konvexe Linse baute sich vor van Zant auf - und erlosch sofort wieder. Artimus stieß einen bitteren Fluch aus. Ein zweiter Versuch - mit dem gleichen erschütternden Ergebnis!
    Die Wurzel hatte die Macht, den Schild einfach so abzuschalten. Darin erkannte van Zant sogar eine zwingende Logik, denn die Wurzel war der Ursprung, der Beginn - warum sollte ein Krieger sie mit dem Defensivschild attackieren müssen? Das konnte einfach nicht sein. Es durfte vor allem nicht sein, also hatte die Wurzel Macht über den Schild , damit ein solcher Frevel nie geschehen konnte.
    Artimus hörte Lakir und Vinca schreien, doch sie konnten ihm nicht mehr helfen. Unaufhaltsam wurde nun sein Kopf in das Innere des hölzernen Körpers gezogen.
    Van Zant spürte, wie die kranken Säfte der Wurzel bereits seinen Körper angriffen und ihn zu zersetzen begannen.
    Spürst du nun, wie perfekt dein Mordanschlag funktioniert hat? Die Stimme war direkt in Artimus' Kopf.
    Der Physiker konzentrierte sich. Er musste mit seinen Gedanken die Wurzel direkt erreichen.
    »Ich verstehe nicht, was du meinst. Ich wollte dich doch nicht töten! Wie hätte ich das denn auch anstellen sollen?«
    Die Antwort kam sofort. Du hast es schlau angefangen - der Tod klebte an dir wie verendete Insekten am süßen Honig. Wirklich schlau…
    Artimus verstand kein Wort. Er hatte es aufgegeben, sich gegen den Sog zu wehren, denn je größer sein Widerstand war, je intensiver zogen die Kräfte an ihm. Noch war er nicht vollständig im Inneren der Wurzel verschwunden, noch konnte er seinen Kopf frei bewegen, konnte atmen! Er musste die Wurzel ablenken. Vielleicht gab ihm das ein wenig mehr Zeit.
    »Ich verstehe dich noch immer nicht. Erkläre es mir. Ich bin Krieger einer weißen Stadt - habe ich nicht das Recht auf Verteidigung, wenn es um mein Leben geht?«
    Nein! Deutlicher hätte die Antwort nicht ausfallen können. Du hattest den Tod bei dir, als du in meine Höhle