0892 - Jagd durch die Zeit
erhielt Svantevit den dritten Teil der Siegesbeute, die die wilden ranischen Krieger übers Jahr zu Lande und als Seeräuber gemacht hatten. Dazu kam alles, was die dreihundert Pferde, die eigens ihm gehörten, gewonnen oder in der Schlacht erbeutet hatten. Bald stapelte sich ein riesiger Berg an Gaben vor dem Tempel auf, den die Priester abzutransportieren begannen.
Danach wollte Fürst Slaigor wissen, ob sein geplanter Kriegszug gegen die Böhmen von Erfolg gekrönt sein würde. Zum Zwecke der Weissagung legte Brace nämlich neun Lanzen auf den Boden und führte anschließend den heiligen Schimmel darüber. Da er jedes Mal zuerst mit dem linken Vorderhuf über die Speere stieg, löste er bei Slaigor tiefe Depressionen aus. Der Fürst senkte den Kopf. »Links«, flüsterte er, »das bringt Unglück. Ich werde diesen Feldzug nicht führen. Und ich danke dir, guter Gott Svantevit, dass du mich davor gewarnt hast, mich in mein Unglück zu stürzen.«
Die beiden Ewigen waren fasziniert von den Menschen und deren seltsamen Gebräuchen. Bisher hatten sie nicht viel davon mitbekommen, da sie die Forschungsstation so gut wie nicht verlassen hatten. Dass Svantevit nicht zum Opferfest erschien, um neben all diesen Gaben auch die dreiundsiebzig Unglücklichen zu fressen, die ranische Seefahrer extra als Menschenopfer für ihn gekauft oder versklavt hatten, löste nur mäßige Enttäuschung in Sanko und Capdevila aus. Ihre Mission war ohnehin eine andere. Mehr als ein Jahr blieben sie in der Tempelburg. Dank ihres Wissens und ihren Blastem genossen sie schon bald einen legendären Ruf. Sowohl die mächtige Priesterschaft um Brace als auch Fürst Slaigor buhlten um ihre Freundschaft, und die Ewigen bedienten beide Seiten.
Sie erfuhren eine Menge über Svantevit, aber das spielte bald nur noch eine untergeordnete Rolle. Sanko und Capdevila genossen es zunehmend, sich unter Menschen zu bewegen und deren Geschicke zu beeinflussen. Nach wie vor konnten sie es sich nicht erklären, warum die Gaianer eine exakte Kopie ihrer selbst darstellten, ohne allerdings wie sie hinüber zu gehen. Es interessierte sie irgendwann nicht mehr. Erstaunlicherweise gab es unter diesen nicht sehr gelungenen Ewigen-Kopien aber Exemplare, die es an Wissen und Weisheit durchaus mit den Alphas, wenn nicht sogar mit dem ERHABENEN aufnehmen konnten.
Trotzdem kamen die eher fein gestrickten Ewigen mit den grobschlächtigen, wilden Ranen nicht zurecht. So wandten sie ihnen eines Tages den Rücken und flogen mit einer Hornisse [3] nach Süden, wo es weitaus zivilisiertere und prunkvollere Königshöfe geben sollte.
Nach mehreren Jahren in Frankreich landeten Iva Sanko und Ser Capdevila 1015 als französische Gesandte am Hofe des deutschen Kaisers Konrad II. in Aachen. Konrad fand sofort Gefallen an ihnen und machte Capdevila zum Paten seines Sohnes Heinrich. Iva Sanko verstand es, Heinrich seiner Mutter, Gisela von Schwaben, zu entfremden und ihn in ihrem Sinne zu beeinflussen und zu erziehen. Heinrich, der 1039 als Heinrich III. die Nachfolge seines Vaters als Kaiser antrat, hörte ausschließlich auf die Einflüsterungen der beiden Ewigen.
»Was soll ich tun?«, fragte der groß gewachsene, schwarzhaarige Mann sinnend. »Herzog Bretislaw von Böhmen hat Polen erobert und Krakau geplündert. Sein geplantes Großböhmisches Reich nimmt langsam Formen an.«
»Das kannst du dir nicht bieten lassen, Heinrich«, erwiderte Iva Sanko, die befürchtete, dass Bretislaw auch die Ranen eingliedern und Heinrich so plötzlich Svantevit zum Feind haben könnte. »Ein so mächtiges Reich neben deinem eigenen bedeutet große Gefahr. Du musst Bretislaw in seine Grenzen weisen.«
Heinrich zögerte keinen Moment, diesen Ratschlag umzusetzen. Aus Meisen, Bayern und Österreich ließ er deutsche Heere in Böhmen einrücken und Prag einkesseln. Bretislaw, der sich daraufhin ergab, wäre von dem wütenden Heinrich beinahe mit dem Schwert erschlagen worden. Doch Iva Sanko hielt ihn zurück.
»Keine weise Entscheidung, Heinrich. Mach dir lieber Bretislaw zum Freund als die Böhmen zum Feind. Lass ihn viertausend Goldmark Buße zahlen, belehne ihn mit zwei polnischen Landschaften und nimm ihm den Eid ab, dass er die deutsche Oberhoheit anerkennt. Dann wird er dir künftig ein treuer Gefolgsmann sein.«
So geschah es. Auch Heinrichs Sohn, der als Heinrich IV. den Kaiserthron bestieg, begleiteten die beiden Ewigen. Als dessen Berater beging Ser Capdevila den ersten großen
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