0897 - Monster-Maar
»Deine Eifel beginnt, mich zu interessieren. Schreib mir doch mal eine Wegbeschreibung zu diesem Kloster auf, ich suche derweil nach Nicole.«
***
Gute zwei Stunden später war er bereit, seinem sonst so sicheren Instinkt zum ersten Mal zu misstrauen. Wie von Stefan beschrieben, hatten er und Nicole das Kloster im Nu gefunden. Etwa dreißig Kilometer von der Rennstrecke entfernt, lag es idyllisch an einem großen Vulkanmaar, inmitten von Wäldern, Weiden und Büschen. Ein ruhiges, abgeschiedenes Fleckchen Erde, wären da nicht die Touristenströme, die Maria Laach, wie der Landstrich hieß, zu einem beliebten Ausflugsziel erkoren hatten. Sie fluteten an diesem sonnigen Spätnachmittag die Anlage wie Schnäppchenjäger den Sommerschlussverkauf. Nicht nur der See und die dazugehörige Infrastruktur aus Wanderwegen, Imbiss- und Souvenirbuden, auch das Kloster selbst mit seiner Gärtnerei und den diversen Gottesdienstangeboten zog Besucher an wie eine Lampe die Mücken.
Nicole und er hatten sich spontan einer Fremdenführung durch die Klosteranlage angeschlossen. Ein junger Mönch, der sich ihnen als Bruder Holger vorgestellt hatte, leitete sie und andere Gäste durch verschiedene Teile des dreistöckigen Wohn- und Arbeitsgebäudes des hiesigen Klosterordens. Besonders die imposante Bibliothek des Hauses weckte in Zamorra die Lust, sich von der Gruppe abzusetzen und durch alte Folianten zu stöbern, doch folgte er lieber dem Mönch. Dem Mönch in der ihm so vertrauten Kutte…
Nicole gähnte leise. »Ich weiß ja nicht, wie du das siehst«, raunte sie ihm zu, »aber ich finde das hier nicht gerade prickelnd. Bei nächster Gelegenheit setze ich mich ab. Das Wetter ist einfach zu schön, um den Tag hinter dicken Klostermauern zu verbringen.«
Noch bevor Zamorra etwas erwidern konnte, ließ sie sich unauffällig zurückfallen. Als er sich zu ihr umdrehte, sah er sie gerade noch hinter einer Ecke verschwinden.
***
Das Licht der allmählich untergehenden Sonne spiegelte sich auf der Oberfläche des Sees und tauchte die ganze Szenerie in ein unwirkliches und warmes Glitzern. Nicole Duval saß auf einer Bank am Ufer, ließ die Füße im Wasser baumeln und ließ ihren Gedanken freien Lauf.
Laut Bruder Holgers Bericht war dieses Maar der größte See in Rheinland-Pfalz, und Nicole musste zugeben, dass es einen wirklich hübschen Anblick bot: über drei Quadratkilometer groß, umsäumt von Wiesen und Waldgebieten und geziert mit den Ruder- und kleinen Segelbooten eines ansässigen Bootsverleihs. Immer wieder schimmerten die Silhouetten von Spaziergängern durch das Uferdickicht, ein Hinweis auf die langen Wanderwege, welche diese Gegend kennzeichneten.
Es war hübsch hier. Und strunzlangweilig.
»Das ist eigentlich kein Maar, wissen Sie?«
Überrascht drehte Nicole sich um. Sie hatte niemanden kommen hören, und doch stand ein schmächtiger Mann nur wenige Meter hinter ihr. Sein freundliches Lächeln unter dem dunkelgrünen Schlapphut und der viel zu großen Brille ließ sie ihren Schreck vergessen. »Kein Maar?«, wiederholte sie auffordernd.
»Na ja«, sagte der Fremde zögernd und zupfte sich nervös imaginäre Flusen von seinem karierten Wollpullover. »Viele Touristen halten es für eines. Immerhin ist die Eifel für ihre Vulkane und die dazugehörigen Maare berühmt. Aber das da nennt man Caldera. Maare, wie Sie sie etwa in der Gegend von Daun sehen, entstehen durch vulkanische Gasexplosionen. Der Laacher See jedoch geht auf den Einsturz einer Magmakammer zurück. Man sagt, dass unter seinem Boden noch heute glühende Lava auf den nächsten Ausbruch warte.«
Langsam trat er näher und reichte ihr die Hand. Nicole ergriff sie. »Eusebius Struttenkötter«, sagte er. »Geologe und Biologe von der Universität Koblenz. Ich bin sozusagen im Einsatz hier.«
Amüsiert musterte sie den Wissenschaftler. Struttenkötter, rein optisch irgendwo in den Vierzigern, schien einem Klischee entsprungen zu sein. Seine Körperhaltung, seine Kleidung, Gestik und Mimik schrieen geradezu heraus, dass es sich bei ihm um einen Vertreter der Sorte »weltfremder Fachidiot« handelte, und doch war ihr der Mann sympathisch. Irgendwie erinnerte er sie an Denny W. Shore, den amerikanischen Parapsychologen, den Zamorra und sie auf einer Tagung in Mexico City kennengelernt hatten.
»Nicole Duval«, stellte sie sich vor. »Und Sie warten auch? Auf den Ausbruch?«
Struttenkötter grinste, offensichtlich froh, einen Zuhörer gefunden zu
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