0899 - Gejagt von Lucy, dem Ghoul
lange.«
Sheila nickte. »Ich bin nur froh, daß ich meinen Wagen zu Hause gelassen habe.«
»Warum?«
»Allein wäre ich zu sehr auf negative Gedanken gekommen. Ich kann es dir erklären, aber etwas ist in mir, das mich so schrecklich nervös und unruhig macht.«
»Liegt es nur an Bill?«
Sheila senkte für einen Moment den Kopf, bevor sie ihn schüttelte.
»Nein, nicht nur, es liegt auch an mir. Ich fühle mich in der letzten Zeit nicht besonders. Woran es liegt, weiß ich nicht. Ich vermisse meine innerliche Zufriedenheit. Alles läuft bestens, alles ist okay, aber etwas stört mich.«
»Wie macht sich das bemerkbar?« wollte ich wissen.
»Tagsüber weniger, die Nächte sind schlimmer. Ich schlafe nicht mehr so tief und fest, werde oft wach, bleibe dann auch wach, wobei ich nur schwer wieder einschlafen kann. Dann drehen sich die Gedanken, und ich bekomme seltsamerweise Furcht. Ich weiß, du wirst mich auslachen, aber es ist halt so. Ich komme damit nicht zurecht, ich habe mich selbst ausgeschimpft und ausgelacht, denn es gibt ja keine Gründe. Wir führen ein gutes Familienleben, und trotzdem sitzt da etwas tief in meinem Innern, das ich nicht begreife.«
»Hast du schon einmal mit Bill darüber gesprochen?«
»Nein, habe ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil ich zu feige bin, John. Ja, ich bin zu feige.« Sie nickte, um sich selbst zu bestätigen. »Das mag für dich alles verrückt klingen, aber es ist leider so.«
»Nun, Sheila, ich bin kein Psychologe, aber du solltest dich schon etwas näher beobachten und auch mit Bill darüber reden.«
»Das werde ich wohl auch machen«, versprach sie. »Aber da gibt es noch etwas.«
»Und was?«
»Die Angst!«
»Nicht nur die Unruhe?«
»Nein, die Angst davor, daß etwas…« Sie schüttelte den Kopf und fing plötzlich an zu weinen. »John, eine Angst vor nichts, die aber trotzdem vorhanden ist.«
»Nicht vor dir selbst.«
»Nein«, flüsterte sie. »Ich habe Angst um Bill, um Johnny, um meine Familie eben.«
»Die hattest du doch schon früher.«
»Ja, das stimmt«, gab sie zu, suchte dabei in ihrer Tasche nach einem Taschentuch und fand es auch. »Aber das hat sich in der letzten Zeit verstärkt.«
»Gab es denn einen Grund, ein Motiv? Ist etwas bei euch vorgefallen?«
»Nein, überhaupt nicht.«
»Eine Krise?«
Sheila schneuzte ihre Nase. »Ja, eine Krise. So wird es wohl gewesen sein, John.« Sie lehnte den Kopf gegen meine Schultern. »Eine Krise, die aus dem Nichts gekommen ist.«
»Tja, Sheila, das kann ich nicht Unterstreichen. Ich will auch nicht belehrend sein, aber jede Krise hat irgendwo ihren Ursprung, denke ich mal.«
»Bestimmt.«
»Darüber solltest du nachdenken. Zusammen mit Bill natürlich. Gemeinsam erreicht ihr bestimmt eine Lösung. Wenn nicht, dann…«
»Keine Therapie, bitte.«
Ich lächelte. »Es wäre auch das letzte, was ich vorschlagen würde. Ich habe nur gemeint, daß ich vielleicht dabeisein kann. Oft sieht man als dritte Person mehr als diejenigen, die direkt von einer Sache betroffen sind.«
»Ich werde darauf zurückkommen.« Sie setzte sich wieder normal hin und tupfte sich die Tränen aus den Augenwinkeln.
Es ging auch allmählich weiter. Ich sah, wie sich der vierte Wagen vor uns in Bewegung setzte und langsam an den Neugierigen auf den Gehsteigen vorbeirollte. Obwohl es nichts zu sehen gab, hatten sich einige Menschen versammelt, anstatt in ihren Wohnungen zu bleiben und in die Glotze zu schauen oder sonst etwas zu machen.
Ich lächelte Sheila von der Seite her zu. »Keine Sorge, Mädchen, da wird schon alles gutgehen.«
»Wenn du meinst…«
»Klar, wir haben bisher alles im Griff.«
Sie stöhnte und lachte auf. »Ich wollte, ich könnte ebenso denken wie du.«
»Versuche es.«
»Ich werde mich bemühen.«
Der Wagen vor uns setzte sich in Bewegung. Auch für mich wurde es Zeit. Ich startete den Motor und fuhr los.
Was Sheila mir da gesagt hatte, beunruhigte mich schon. Ich dachte auch über die Gründe nach und mußte zugeben, daß sie und ihre Familie zwar äußerlich ein normales Leben führten, aber im Laufe der Jahre schon einiges mitgemacht hatten. Bei einem sensiblen Menschen blieb das auch in der Seele hängen. Vielleicht war das alles für Sheila zuviel gewesen, vielleicht reagierte sie deshalb so überzogen, ohne es allerdings aus eigener Kraft ändern zu können.
Glücklicherweise brauchten wir nicht mehr weit zu fahren. Das Haus der Conollys befand sich in der Nähe. An der
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