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0899 - Schwanengesang

0899 - Schwanengesang

Titel: 0899 - Schwanengesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Schwarz
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Minuten erreichte er ihre Ausläufer. Eng beieinander standen die riesigen Gebäude, die Moder und Verfall atmeten, nur getrennt von schmalen Gässchen, in denen stinkendes, brackiges Wasser stand. Durch diese Wassersträßchen bewegte sich der Tanaar. Die Wellen, die er produzierte, schwappten schmatzend und gluckernd an den glatten Wänden empor. Erschrocken warf Deegh einen Blick in eine gläserne Kuppel, die auf seinem Weg lag und in der die halb vermoderten Knochen eines Artgenossen zwischen halb zerfaulten Möbeln hingen.
    Von diesem hier sind wenigstens noch einige Reste übrig … Bilder längst vergangener Zeilen stiegen vor dem geistigen Auge Deeghs empor. Die Todesschreie der Sterbenden gellten in seinen Ohren, als sich das seltsame, blaue Leuchten aus dem Himmel um sie legte und sie fraß. Von den meisten waren nicht einmal die Knochen geblieben, nur die Allerwenigsten hatten das Massaker des gnadenlosen Feindes überlebt. Darunter auch Lhaxxa-Tok, der Fürst, natürlich.
    Ihm galt es die frohe Kunde zu überbringen.
    Deegh, der genug gesehen hatte, wusste, dass er nun nicht mehr länger zögern durfte. Vielleicht beobachtete Lhaxxa-Tok ihn, seit er in Sh'hu Naar angekommen war. Und die Rache des Fürsten an seinen Kindern konnte fürchterlich sein, wenn er sich missachtet oder gar verraten fühlte. Also hinüber zum Palast…
    Kurze Zeit später erreichte Deegh einen der Pfeiler, auf denen Lhaxxa-Toks Residenz ruhte. Früher hatten hier schwer bewaffnete Tanaar gewacht und für die Sicherheit des Fürsten gesorgt, denn in den Magiern hatte er durchaus ernstzunehmende Gegner gehabt. Nichts mehr davon gab es. Das Wasser schwappte gegen eine breite Treppe, die spiralförmig in dem Pfeiler hochführte. Deegh ließ kurz das Wasser an sich abtropfen und stieg dann in die Höhe. Er gelangte direkt in den Bauch des Palastes. Riesige Räume, in denen er sich klein und verloren vorkam, erstreckten sich vor seinen Augen. Überall standen mächtige Pfeiler aus verfestigter Magie, die das Deckengewölbe stützten. Deeghs Blicke streiften die Malereien und Mosaikbilder an den Wänden und schüttelte sich unwillkürlich. In düsteren Farben gehalten kehrte dabei immer wieder das Motiv der mächtigen Echse zurück, die einen Winzling von Menschen entweder knechtete oder auffraß.
    Der Tanaar ging schnell weiter. Am Ende der Hallen erhob sich eine breite Tür aus seltsam schimmerndem Material. Wie von Geisterhand schwangen die beiden Türflügel plötzlich nach innen auf.
    Die Echse schauderte, als sie den riesigen Thron wahrnahm, der sich am Kopfende des neuen Raumes bis unter die Decke erhob. Waren das Menschenknochen und Schädel, aus denen er bestand?
    Ja…
    Derjenige, dem dieser Thron als wichtigstes Zeichen seiner Macht galt, benutzte ihn gerade. Lhaxxa-Tok glich Deegh tatsächlich wie ein Ei dem anderen, mit dem einzigen Unterschied, dass Letzterer bestenfalls eine Miniaturausgabe des Fürsten von Sh'hu Naar war.
    »Tritt näher, Tanaar!«, donnerte es durch die Halle. Das seltsame Echo, das zuerst leise rollte und sich dann, immer lauter werdend und sich gleichzeitig überlagernd, um ein Vielfaches verstärkte, löste nur schwer zu ertragende Beklemmungen in dem Neuankömmling aus. »Wie ist dein Name?«
    »Deegh, mein Fürst.«
    »Ah, Deegh, ja. Ich hoffe, du bringst mir gute Nachrichten?« Die tückischen Augen Lhaxxa-Toks ruhten auf seinem Kind. Unter keinen Umständen hätte Deegh ihm schlechte Kunde überbringen wollen.
    Allerdings musste er das auch nicht.
    »Ja, gute Nachrichten, mein Fürst. Die Arbeit ist fast vollbracht. Nur noch ein Tag, dann sind wir in der Höhle.«
    »Wie vorgesehen.« Ein grollendes Lachen fegte durch den Thronsaal. Deegh, der den Fürsten ohnehin nicht anzuschauen wagte, zog den flachen Schädel ein. »Das ist gut, sehr gut sogar, mein getreuer Deegh. Nun kann ich das Geschäft mit dem großen Raagh, dem Vieläugigen, doch noch abschließen. Ich habe nun, was er will und er kann geben, was ich unbedingt will. Er wird sich meinem Wunsch garantiert nicht widersetzen. Was ehedem begann, wird nun seine Vollendung finden. Der Einsatz hat sich also über alle Maßen gelohnt. Noch ein Opfer ist vonnöten, dann fühle ich mich stark genug, das Ritual zu vollziehen, das Raagh in die andere Welt holt.«
    Deegh neigte demütig das Haupt. »Das Opfer ist bereits vorbereitet, mein Fürst. Noch in dieser Nacht erhältst du ein weiteres Mädchen.«
    Das lebende Gebirge öffnete das Maul.

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