09 - Befehl von oben
Sie.«
Er hielt gerade sein eigenes Plädoyer. Obwohl er seit dreißig Jahren als Anwalt zugelassen war, hatte Ed Kealty bisher ein Gericht nur als Zuschauer betreten, allerdings hatte er bei vielen Anlässen auf den Stufen von Gerichtsgebäuden gestanden, um Reden oder Bekanntgaben zum besten zu geben. Das war immer dramatisch, wie dies auch.
»Möge es dem Hohen Gericht gefallen«, begann der ehemalige Vizepräsident, »ich stehe hier, um ein dringliches Urteil zu beantragen.
Gegen mein Recht, die Grenze zwischen Bundesstaaten zu überqueren, wird durch den Exekutivbefehl des Präsidenten verstoßen. Das widerspricht ausdrücklich zugesichertem Verfassungsrecht, wie auch der Oberste Gerichtshof in einem Präzedenzfall einstimmig feststellte ...«
Pat Martin saß neben dem Solicitor General, der für die Regierung sprechen würde. Eine Kamera von Court-TV lief mit, um den Fall über Satellit in die Haushalte des Landes zu verteilen. Es war eine gespenstische Szene. Richter, Gerichtsschreiber, Gerichtsdiener, Anwälte, zehn Reporter und vier Zuschauer trugen alle chirurgische Masken und Gummihandschuhe. Alle hatte gerade gesehen, wie Ed Kealty die größte politische Fehlkalkulation seiner Karriere beging, doch keiner hatte es bisher begriffen. Martin war in Erwartung gerade dieser Tatsache erschienen.
»Die Reisefreiheit ist für alle der von der Verfassung festgelegten und geschützten Freiheiten von zentraler Bedeutung. Weder von der Verfassung noch vom Grundgesetz her ist der Präsident befugt, den Bürgern diese Freiheit zu beschneiden, insbesondere nicht durch Anwendung bewaffneter Gewalt, die hier bereits zum Tod eines Bürgers und zur Verwundung weiterer geführt hat. Das ist eine einfache Frage des Rechts«, sagte Kealty eine halbe Stunde später, »und ich bitte das Gericht für mich selbst und für meine Mitbürger, diesen illegalen Befehl außer Kraft zu setzen.« Damit nahm Edward J. Kealty wieder seinen Platz ein.
»Euer Ehren«, sagte der Solicitor General und ging zum Podium mit dem Mikrofon fürs Fernsehen, »wie uns der Kläger darlegt, ist dies eine höchst wichtiger Fall, doch nicht einer, der im Grunde erhebliche rechtliche Vielschichtigkeit verbirgt. Die Regierung zitiert Richter Holmes im berühmten Fall zur Redefreiheit, als er uns sagte, daß die Aufhebung von Freiheiten zulässig ist, wenn das Land insgesamt in tatsächlich vorhandener Gefahr schwebt. Die Verfassung, Euer Ehren, ist kein Selbstmord-Pakt. Die Krise, der das Land heute gegenübersteht, ist tödlich und dergestalt, daß die Väter der Verfassung sie nicht voraussehen konnten. Im späten achtzehnten Jahrhundert, so darf ich den gebildeten Gegenanwalt erinnern, war das Wesen von Infektionskrankheiten noch nicht bekannt. Dennoch war die Quarantäne von Schiffen zu jener Zeit verbreitete und hingenommene Praxis. Wir haben auch Jeffersons Embargo des Außenhandels als Präzedenzfall, doch mehr als das alles haben wir, Euer Ehren, den gesunden Menschenverstand. Wir können nicht unsere Bürger auf dem Altar der Rechtstheorie opfern ...«
Es hätte komisch wirken können, war es aber nicht, als die fünfzehn Reporter den Bluttest all gleich aufnahmen. Ein Blinzeln. Ein Erleichterungsseufzer. Nacheinander standen alle auf und gingen zur anderen Seite des Raums, nahmen ihre Masken bei der Gelegenheit wieder ab.
Dann wurden sie in einen anderen Besprechungsraum geführt.
»Okay, ein Bus wird Sie nach Andrews bringen. Weitere Informationen erhalten Sie nach dem Abflug«, teilte ihnen der Colonel mit.
»Moment mal!« protestierte Tom Donner.
»Sir, das stand auf Ihrem Einwilligungsformular, erinnern Sie sich?«
»Sie hatten recht, John«, sagte Alexandre. Epidemiologie, das Studium der Krankheiten und ihrer Verbreitung, war eigentlich die Mutter der modernen Medizin, seit um 1830 ein französischer Arzt feststellte, daß erkrankte Menschen genauso schnell starben oder genasen, ob sie nun behandelt wurden oder nicht. Diese unbequeme Entdeckung hatte die Ärzteschaft gezwungen, nach Dingen zu suchen, die wirkten, und dabei die Medizin vom Handwerk zur wissenschaftlichen Kunst gemacht.
Der Teufel lag, wie immer, im Detail. In diesem Fall, begriff Alex, mochte es nicht einmal der Teufel sein.
Es gab nun 3451 Ebola-Fälle im Lande, inklusive derer, die im Sterben lagen, der offen symptomatischen und der Antikörper-Positiven.
Die Zahl war an sich nicht so groß. Niedriger als die Zahl der AIDSToten, zwei Größenordnungen geringer als die für
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