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09 - Befehl von oben

09 - Befehl von oben

Titel: 09 - Befehl von oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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der Westen vermutete, aber nun war es schlimmer. Die Russische Republik bewegte sich am Rande der Anarchie, während ihre Einwohner nach etwas suchten, das Demokratie genannt wurde. Anarchie hatte Lenin an die Macht gebracht, denn die Russen bedurften strenger Herrschaft, hatten sie doch kaum mal was anderes kennengelernt; und obwohl Golowko das nicht wollte - als hoher KGBOffizier wußte er ja, welchen Schaden der Marxismus-Leninismus seinem Land zugefügt hatte -, brauchte er verzweifelt ein organisiertes Land hinter sich, denn innere Probleme zogen äußere nach sich. Und so kam es, daß sein inoffizieller Posten als Chefminister für nationale Sicherheit Schwierigkeiten aller Art anzog. Seine Arme waren die eines Verletzten, der sich bemüht, Wölfe abzuwehren, während er Heilung anstrebt.
Und so war sein Mitleid für Ryan beschränkt, dessen Nation wohl einen heftigen Schlag an den Kopf erhalten haben mochte, die ansonsten aber gesund war. So fremd dies anderen auch erscheinen dürfte, Golowko wußte es besser, und deswegen würde er Ryan um Hilfe bitten.
China. Die Amerikaner hatten Japan besiegt, aber der wirkliche Feind war nicht Japan gewesen. Er hatte einen Schreibtisch voller Fotos, gerade von einem Aufklärungssatelliten herabgekommen. Zu viele Divisionen der Volksbefreiungsarmee exerzierten im Feld. Atomraketen-Regimenter Chinas waren noch in leicht erhöhter Alarmbereitschaft. Sein eigenes Land hatte die ballistischen Waffen vernichtet, trotz der chinesischen Bedrohung
- die davon abhängigen, gewaltigen Mittel der Entwicklungshilfe von amerikanischen und europäischen Banken hatten dieses Wagnis noch vor wenigen Monaten attraktiv aussehen lassen.
Außerdem hatte sein Land, genau wie Amerika, immer noch Bomber und Marschflugkörper, die mit Kernsprengköpfen bestückt werden konnten; der Nachteil war also eher theoretischer als praktischer Natur.
Vorausgesetzt, die Chinesen schlössen sich derselben Theorie an! China jedenfalls hielt seine Streitkräfte in erhöhter Bereitschaft, und die Fernostgruppe der russischen Streitkräfte befand sich an einem historischen Tiefpunkt. Er beruhigte sich damit, daß die Chinesen jetzt, wo die Japaner aus dem Spiel waren, nichts unternehmen würden. Wahrscheinlich nicht, korrigierte er sich. Wenn die Amerikaner schon schwer zu verstehen waren, konnte man die Chinesen leicht für Bewohner eines anderen Planeten halten. Die Erinnerung genügte, daß die Chinesen einst bis zum Baltikum vorgedrungen waren. Wie die meisten Russen hatte Golowko gehörigen Respekt für Geschichte. Da lag er nun, dachte Sergej, im Schnee, einen Stock in der Hand, um den Wolf abzuwehren, dieweil er Heilung erhoffte. Sein Arm war immer noch kräftig und sein Stock lang genug, um die Fänge fernzuhalten. Was aber, wenn noch ein Wolf kam? Ein Dokument, das neben den Satellitenfotos lag, war der erste Vorbote davon, ein fernes Heulen am Horizont, von der Art, daß einem das Blut gefror. Golowko dachte nicht weit genug. Wenn man am Boden lag, war der Horizont ziemlich nah.
Das erstaunliche war, daß es so lange gedauert hatte. Eine wichtige Person vor Attentaten zu schützen ist günstigstenfalls eine komplexe Aufgabe. Rücksichtslosigkeit hilft. Leute von der Straße zu greifen und verschwinden zu lassen ist ein Abschreckungsmittel von erheblichem Wert.
Die Bereitschaft dazu, nicht nur Einzelpersonen, sondern ganze Familien - bisweilen ganze Großfamilien - zu schnappen und desgleichen zu tun: noch wirkungsvoller. Und Leute, die >zu verschwinden< hätten - unerfreuliches Pseudoverb aus Argentinien -, läßt man von >Nachrichtenquellen< auswählen. So umschreibt man höflich die Spitzel, belohnt in der Landeswährung, besser noch durch Macht, für Berichte über Gespräche von aufrührerischem Inhalt. Das geht so weit, daß ein bloßer Witz über jemandes Schnurrbart das Todesurteil für den Erzähler bedeuten könnte. Und bald genug, weil Institutionen eben Institutionen sind, haben Informanten ein gewisses Soll zu erfüllen; auch sind Informanten selbst Menschen mit Neigungen und Abneigungen, ihre Berichte also zuweilen von Neid oder Eifersüchteleien mitbestimmt, denn übertragene Macht über Leben und Tod korrumpiert den Kleinen genau wie den Großen. Schließlich wird das korrupte System selbst korrumpiert, und die Logik des Terrors erreicht ihren logischen Schluß: Das verschreckte Kaninchen, in die Enge getrieben vom Fuchs, hat nichts zu verlieren, wenn es angreift, und Kaninchen haben

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