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09 - Befehl von oben

09 - Befehl von oben

Titel: 09 - Befehl von oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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Maverick nannten (das Wort bedeutete ein herrenloses, ungezähmtes Pferd ohne Brandzeichen). Das machte es für den Russen leicht und unmöglich zugleich, Ryan zu analysieren. Ryan war Amerikaner, und Amerikaner waren teuflisch unberechenbar und waren es aus Golowkos Sicht immer gewesen. Sein ganzes Berufsleben lang, zunächst als Agent im Außendienst, dann als rasch emporstrebender Mitarbeiter in der Moskauer KGB-Zentrale, hatte er immer vorherzusagen versucht, was Amerika in allen möglichen Situationen tun würde, und hatte ein Versagen nur dadurch vermieden, daß er nie versäumte, in den Berichten an seine Vorgesetzten immer drei mögliche Handlungsweisen vorzulegen.
    Doch zumindest war Iwan Emmetowitsch Ryan berechenbar unberechenbar, und Golowko schmeichelte sich, Ryan als einen Freund zu betrachten - das ging vielleicht ein bißchen zu weit, aber die beiden Männer hatten miteinander das Spiel gespielt, die meiste Zeit jeweils von der gegenüberliegenden Seite des Feldes aus, und zum größten Teil hatten es beide geschickt und gut gespielt, Golowko als der erfahrenere Profi, Ryan als begabter Amateur und mit dem Vorteil eines für Mavericks toleranteren Systems. Zwischen ihnen gab es Respekt.
»Was magst du jetzt wohl denken, Jack?« flüsterte Sergej vor sich hin.
    Jetzt im Augenblick schlief der neue amerikanische Präsident natürlich, acht Stunden hinter Moskau zurück, wo die Sonne gerade im Begriff war, für einen kurzen Wintertag aufzugehen.
    Botschafter Lermonsow war nicht so sehr beeindruckt gewesen, und Golowko würde dem Bericht seine eigenen Anmerkungen hinzufügen müssen, damit seine Regierung dieser Einschätzung nicht zu viel Gewicht beimaß. Ryan war ein viel zu geschickter Gegner der UdSSR gewesen; er durfte unter keinen Umständen unterschätzt werden. Das Problem war, daß Lermonsow erwartet hatte, Ryan würde in ein bestimmtes Schema passen, und Iwan Emmetowitsch war so leicht nicht zu klassifizieren. Das lag weniger an seiner Komplexität als daran, daß es eine andere Art von Komplexität war. Rußland hatte keinen Ryan - unwahrscheinlich, daß er sich in der sowjetischen Umgebung hätte halten können, von der die Russische Föderation noch immer durchdrungen war, insbesondere die offiziellen Bürokratien. Er langweilte sich schnell und besaß, wenn auch die meiste Zeit streng gezügelt, viel Temperament.
    Mehrmals hatte Golowko es aufschäumen sehen, aber nur davon gehört, daß es auch mal mit ihm durchging. Die Geschichten darüber waren bei der CIA durchgesickert und an Ohren gedrungen, die darüber am Dscherschinski-Platz berichteten. Gott helfe ihm als Regierungschef.
    Doch das war nicht Golowkos Problem.
Er hatte eigene im Überfluß. Er hatte die Kontrolle über den Auslandsaufklärungsdienst nicht ganz abgegeben - Präsident Gruschawoy hatte wenig Veranlassung, der Organisation zu trauen, die einst >Schild und Schwert der Partei< gewesen war, und so wollte er jemanden haben, auf den er sich verlassen konnte, der dieses an die Kette gelegte Raubtier im Auge behielt: Golowko natürlich - und gleichzeitig war Sergej der wichtigste außenpolitische Berater des geplagten russischen Präsidenten. Rußland hatte mit so gewaltigen inneren Probleme zu kämpfen, daß es dem Präsidenten versagt blieb, sich selbst mit außenpolitischen Problemen zu befassen, was bedeutete, daß der Präsident letztlich den Rat des ehemaligen Spions einholte und beinahe ausnahmslos befolgte.
Der Chefminister - mit oder ohne den Titel war das sein Posten - nahm diese Aufgabe sehr ernst. Gruschawoy hatte im Inland mit der Hydra zu kämpfen - wie beim Ungeheuer der antiken Mythologie wuchs jeder abgeschlagene Kopf wieder nach. Golowko hatte mit weniger Problemen zu tun, die aber waren im einzelnen größer. Zum Teil hätte er sich eine Rückkehr des alten KGB gewünscht. Nur wenige Jahre zuvor wäre es ein Kinderspiel gewesen. Zum Telefon greifen, ein paar Worte sagen, die Kriminellen wären weggeschafft worden, und damit wäre der Fall erledigt gewesen - nicht ganz, aber es wäre viel... friedlicher zugegangen. Viel kalkulierbarer. Viel geordneter. Und sein Land benötigte Ordnung. Doch die zweite Hauptabteilung, >geheimpolizeilicher< Teil der Organisation, war perdu, zum selbständigen Büro abgespalten, ihre Kräfte verringert und ihr Respekt in der Öffentlichkeit - Angst, die im nicht so fernen Damals absoluter Terror gewesen war - jetzt dahin. Nie war sein Land so sehr unter Kontrolle gewesen, wie es

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