09 - Denn sie betrügt man nicht
vormachen können, das Kind sei von ihm. Selbst wenn ich geglaubt hätte, ich könnte es tun, hätte ich ihm die Wahrheit sagen müssen. Er war hergekommen, um mich zu heiraten, aber er war durchaus bereit, noch eine Weile zu warten - vielleicht sechs Monate -, um uns beiden Zeit zu geben, einander besser kennenzulernen. Ich mußte ihm klarmachen, daß ich keine Zeit hatte. Was hätte ich ihm sagen sollen? Die Wahrheit war die einzige Möglichkeit.«
Rachel war fassungslos. Was ihre Freundin ihr da erzählte, war ungeheuerlich in Anbetracht ihrer Herkunft, ihrer Religion und ihrer Kultur. Und dann sah sie - haßte sich für diese kühle Berechnung - die rettende Lösung. Denn wenn Haytham Querashi schon gewußt hatte, daß Theo Shaw Sahlahs Liebhaber war, konnte sie sich selbst vergeben für das, was sie getan hatte, als sie ihm mit den mysteriösen Worten »Fragen Sie Sahlah danach« die Quittung gegeben und auf das erwünschte Resultat gewartet hatte. Dann hatte sie ihm ja nur etwas gesagt, was er bereits gewußt und akzeptiert hatte ... Wenn Sahlah ihm die ganze Wahrheit gesagt hatte.
»Hat er von Theo gewußt?« fragte Rachel, bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, wie begierig sie auf eine Bestätigung wartete. »Hast du ihm von Theo erzählt?«
»Das hast du ja für mich getan«, versetzte Sahlah.
Rachels Hoffnung sank in sich zusammen und erlosch. »Wer sonst weiß es?«
»Niemand. Yumn argwöhnt etwas. Wie kann es auch anders sein. Sie kennt die Anzeichen ja gut genug. Aber ich habe nichts zu ihr gesagt, und sonst weiß niemand etwas.«
»Auch Theo nicht?«
Sahlah senkte die Lider, und Rachels Blick folgte dem ihren zu ihren Händen, die sie im Schoß gefaltet hielt. Die Knöchel traten weiß hervor. Als wäre Theo Shaws Name gar nicht gefallen, sagte Sahlah: »Haytham wußte, wie wenig Zeit uns blieb, das zu tun, was Paare normalerweise tun, bevor sie heiraten. Nachdem ich ihm von meinem - von dem Kind erzählt hatte, wollte er mir unbedingt jede Demütigung ersparen. Er versprach mir, daß wir so schnell wie möglich heiraten würden.« Sie zwinkerte kurz, als wollte sie eine Erinnerung löschen. »Rachel, Haytham Querashi war ein sehr guter Mensch.«
Rachel hätte gern gesagt, daß Haytham Querashi bei aller Güte sicher auch ein Mann gewesen war, dem nichts daran gelegen hatte, von seinen Landsleuten dafür verachtet zu werden, daß er eine Frau geheiratet hatte, die einen Fehltritt begangen hatte. Es war auch zu seinem Vorteil gewesen, so schnell wie möglich zu heiraten, um so das Kind, ganz gleich, wie hellhäutig es sein mochte, als das seine ausgeben zu können. Statt dessen dachte Rachel über Theo Shaw und Sahlah nach und überlegte, wie sie mit dem Wissen, das sie jetzt besaß, die Dinge wieder ins Lot bringen konnte. Zunächst aber mußte sie Gewißheit haben. Sie wollte nicht wieder das Falsche tun.
»Weiß Theo von dem Kind?«
Sahlah lachte mutlos. »Du hast immer noch nicht verstanden, nicht wahr? Du hast Haytham diese Quittung gegeben, er wußte, daß sie für ein goldenes Armband ausgestellt war, dann begegnete er Theo bei dieser idiotischen Gentlemen's Cooperative, die diese erbärmliche kleine Stadt wieder in Schwung bringen soll -« Sahlah brach ab, als würde sie sich plötzlich der verräterischen Bitterkeit ihrer Worte bewußt. »Was spielt es jetzt noch für eine Rolle, ob Theo es weiß oder nicht?«
»Was willst du damit sagen?« Rachel hörte die Furcht in ihrer Stimme und bemühte sich, sie um Sahlahs willen zu unterdrücken.
»Haytham ist tot, Rachel. Verstehst du denn nicht? Haytham ist tot. Und er ist draußen auf dem Nez umgekommen. Abends. Im Dunklen. Nicht mal einen Kilometer von dem Haus entfernt, in dem Theo lebt. Auf dem Nez, wo Theo seit zwanzig Jahren seine Fossilien sammelt. Begreifst du jetzt?« fragte Sahlah scharf. »Begreifst du endlich, Rachel Winfield?«
Rachel starrte sie offenen Mundes an. »Theo?« sagte sie. »Nein. Sahlah, du kannst nicht glauben, daß Theo Shaw ...«
»Haytham hätte wissen wollen, wer es war«, entgegnete Sahlah. »Er war zwar bereit, mich zu heiraten, aber er hätte auf jeden Fall wissen wollen, von wem ich schwanger war. Das wäre bei jedem Mann so gewesen, und wenn er vorher zehnmal gesagt hätte, er würde es lieber nicht wissen. Er hätte es wissen wollen.«
»Aber selbst wenn er es gewußt hat, selbst wenn er tatsächlich mit Theo gesprochen hat, kannst du doch nicht glauben, daß Theo ...« Rachel konnte den Satz
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