09 - Denn sie betrügt man nicht
nicht zu Ende bringen, so entsetzt war sie über die Logik hinter Sahlahs Worten. Sie konnte sich sogar vorstellen, wie es sich abgespielt hatte: eine Zusammenkunft auf dem Nez im Dunklen, Haytham Querashis Gespräch mit Theo Shaw, bei dem er von Sahlahs Schwangerschaft sprach, Theo Shaws verzweifelter Wunsch, den Mann aus dem Weg zu räumen, der zwischen ihm und seiner großen Liebe stand und ihn daran hinderte, das zu tun, was er als seine moralische Pflicht erkannte, erkennen mußte ... Denn Theo Shaw hätte sich seiner Verantwortung Sahlah gegenüber nicht entziehen wollen. Er liebte Sahlah, und wenn er gewußt hätte, daß er der Vater des Kindes war, das sie erwartete, hätte er ihr zur Seite stehen wollen. Und da Sahlah so große Angst davor hatte, von ihrer Familie verstoßen zu werden, wenn sie einen Engländer heiratete, hatte er auch gewußt, daß es nur eine Möglichkeit gab, sie an sich zu binden.
Rachel schluckte. Sie zog ihre Unterlippe ein und biß fest darauf.
»Siehst du jetzt, was du angerichtet hast, als du die Quittung für das Armband weitergegeben hast, Rachel?« sagte Sahlah. »Du hast der Polizei eine Verbindung zwischen Haytham Querashi und Theo Shaw geliefert, von der sie sonst vielleicht nie erfahren hätte. Und wenn ein Mord verübt worden ist, suchen sie immer als erstes danach, nach einer Verbindung, meine ich.«
Rachel war so entsetzt darüber, was für eine Rolle sie bei der Tragödie auf dem Nez gespielt hatte, fühlte sich so schuldig, daß sie nur stammeln konnte: »Ich rufe ihn sofort an. Ich fahre zum Pier.«
»Nein!« rief Sahlah erschrocken.
»Ich sag' ihm, er soll das Armband in den Müll werfen. Ich sag' ihm, daß er es nie wieder tragen darf. Die Polizei hat bis jetzt überhaupt keinen Grund, mit ihm zu reden. Die wissen doch gar nicht, daß er Haytham gekannt hat. Und selbst wenn sie mit sämtlichen Männern von der Gentlemen 's Cooperative reden, werden sie dazu Tage brauchen, meinst du nicht?«
»Rachel -«
»Und nur auf dem Weg werden sie überhaupt auf Theo Shaw stoßen. Es gibt keine andere Verbindung zwischen ihm und Haytham. Nur die Kooperative. Darum muß ich zuerst mit ihm reden. Dann bekommen sie das Armband nie zu sehen und werden nichts erfahren. Ich schwöre es, sie werden nichts erfahren.«
Sahlah schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht drückte Ungläubigkeit und Hoffnungslosigkeit zugleich aus. »Aber verstehst du denn nicht, Rachel? Das geht doch am wahren Problem vorbei. Ganz gleich, was du zu Theo sagst, Haytham ist tot.«
»Aber die Polizei wird den Fall abschließen oder ad acta legen oder was auch immer, und dann könnt ihr, du und Theo -«
»Dann können wir was?«
»Dann könnt ihr heiraten«, sagte Rachel. Und als Sahlah nicht gleich antwortete, fügte sie schwach hinzu: »Du und Theo. Ihr könnt heiraten. Verstehst du.«
Sahlah stand auf. Sie zog sich ihr dupatta wieder über den Kopf. Sie blickte zum Pier hinüber. Die Dampforgelmusik des Karussells schwebte auf der stillen Luft gedämpft zu ihnen herüber. Das Riesenrad glitzerte in der Sonne, und in der Wilden Maus wurden die kreischenden Fahrgäste von einer Seite zur anderen geschleudert.
»Glaubst du im Ernst, daß es so einfach ist? Du sagst Theo, er soll das Armband in den Müll werfen, die Polizei zieht sich zurück, und er und ich heiraten.«
»Warum nicht? Wir brauchen doch nur dafür zu sorgen, daß es so läuft.«
Wieder schüttelte Sahlah den Kopf, dann sah sie Rachel an. »Du hast nicht die leiseste Ahnung«, sagte sie. In ihrer Stimme lag tiefe Resignation. Sie hatte ihren Entschluß gefaßt. »Ich muß abtreiben. So bald wie möglich. Und dazu brauche ich deine Hilfe.«
Das Armband war unverkennbar ein Stück aus Aloysius Kennedys Werkstatt: dick, schwer, in unregelmäßigen Windungen gearbeitet wie das Armband, das Barbara bei Racon gesehen hatte. Gewiß, es konnte ein rein zufälliges Zusammentreffen sein, daß ein solch ausgefallenes Schmuckstück sich in Theo Shaws Besitz befand, doch Barbara arbeitete nicht umsonst seit elf Jahren bei der Kriminalpolizei: Sie wußte, daß Zufälle eher unwahrscheinlich waren, wenn Mord im Spiel war.
»Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?« Theo Shaws Ton war so freundlich, daß Barbara überlegte, ob er wider alle Vernunft glaubte, sie wolle ihm nur einen Höflichkeitsbesuch abstatten. »Kaffee? Tee? Eine Cola? Ich wollte mir selbst eben etwas zu trinken holen. Furchtbar heiß, nicht wahr?«
Barbara sagte, sie würde gern eine
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