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09 - Denn sie betrügt man nicht

09 - Denn sie betrügt man nicht

Titel: 09 - Denn sie betrügt man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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nicht bereit, mit seiner Geschichte fortzufahren. Er und Azhar traten in einen Schnellfeuerdialog, den Emily mit den Worten unterbrach: »Das reicht. Ich möchte eine Übersetzung. Sofort.«
    Azhar wandte sich ihr zu. Sein Gesicht war ernst. »Er sagt immer wieder das gleiche. Er hat Angst, mehr zu sagen.«
    »Dann werde ich es für ihn sagen«, versetzte Emily. »Muhannad Malik steckt bis zum Hals in dieser Sache. Er schmuggelt Illegale ins Land und hält ihre gefälschten Dokumente zurück, um sie zu erpressen. Übersetzen Sie das, Mr. Azhar.«
    Als Azhar, dessen Blick sich mit jeder Anklage, die sie gegen seinen Vetter vorgebracht hatte, verdunkelt hatte, nicht gleich zu sprechen begann, sagte sie eisig: »Übersetzen Sie. Sie wollten es doch so. Dann halten Sie sich auch daran. Übersetzen Sie ihm, was ich gesagt habe.«
    Azhar begann zu sprechen, aber seine Stimme klang verändert. Ein feiner Unterton schwang in ihr, den Emily nicht direkt identifizieren konnte, den sie aber für Besorgnis hielt. Natürlich. Er würde möglichst schnell seinen widerlichen Vetter unterrichten wollen. Diese Leute klebten zusammen wie Fliegen auf einem Kuhfladen, ganz gleich, welches Verbrechen einer begangen hatte. Aber er konnte nicht weggehen; solange er nicht mit Sicherheit wußte, wie die Wahrheit aussah. Und bis dahin würden sie Muhannad hinter Schloß und Riegel haben.
    Als Azhar zum Ende seiner Übersetzung kam, begann Fahd Kumhar wieder zu weinen. Es sei wahr, sagte er. Bei seiner Ankunft in England sei er in ein Lagerhaus gebracht worden. Dort hatten ein Deutscher und zwei ihrer eigenen Landsleute ihn und seine Mitreisenden in Empfang genommen.
    »Und Muhannad Malik war einer von ihnen?« fragte Emily. »Wer war der andere?«
    Das wußte Kumhar nicht. Er hatte es auch nie erfahren. Aber dieser andere Mann hatte viel Gold getragen - Uhren und Ringe. Er war gut gekleidet gewesen. Und hatte fließend Urdu gesprochen. Er kam nicht oft ins Lagerhaus, aber wenn er kam, unterwarfen sich ihm die beiden anderen.
    »Rakin Khan«, zischte Emily. Die Beschreibung hätte auf keinen anderen gepaßt.
    Kumhar hatte zunächst beide Männernamen nicht gekannt. Mr. Maliks Namen hatte er nur erfahren, weil sie - und hier wies er auf Emily und Azhar - ihn gestern bei der Vernehmung genannt hatten. Vorher hatte er Malik nur als den Meister gekannt.
    »Ein toller Spitzname«, murmelte Emily. »Den hat er sich bestimmt selbst ausgedacht.«
    Kumhar sprach weiter. Man hatte ihnen gesagt, man habe ihnen Arbeit beschafft, damit sie Schritt für Schritt den Preis für die ordnungsgemäßen Papiere abzahlen könnten.
    »Was für Arbeit?«
    Einige kamen auf Bauernhöfe, andere in Fabriken. Wo immer sie gebraucht wurden, gingen sie hin. Sie wurden mitten in der Nacht mit einem LKW abgeholt und zu ihrem Arbeitsplatz gebracht. Wenn die Arbeit beendet war, wurden sie zurückgebracht, manchmal schon in der nächsten Nacht, manchmal erst Tage später. Mr. Malik und die anderen Männer nahmen ihre Löhne in Empfang und zogen davon das Geld zur Bezahlung der Dokumente ab. Sobald die Dokumente abbezahlt seien, würden sie den Einwanderern übergeben. Danach könnten sie gehen.
    Nur war in den drei Monaten, die Fahd Kumhar mittlerweile hier war, um seine Schulden abzuarbeiten, nicht ein einziger gegangen. Zumindest nicht mit ordnungsgemäßen Papieren. Kein einziger. Es kamen immer neue Einwanderer, aber keiner schaffte es, genug zu verdienen, um sich die Freiheit erkaufen zu können. Als die Früchte und das Gemüse heranreiften, gab es mehr zu tun, aber soviel man auch arbeitete, es reichte nicht, um die Schulden bei den Leuten abzubezahlen, die einen ins Land gebracht hatten.
    Emily war klar, wie die Sache lief. Die illegal eingeschleusten Arbeitskräfte wurden von Landwirten, Fabrikbesitzern und Vorarbeitern eingestellt. Man zahlte ihnen weit niedrigere Löhne, als man regulären Arbeitskräften zahlen mußte, jedoch nicht an die Illegalen selbst, sondern an denjenigen, der sie hin- und hertransportierte. Dieser behielt von den Löhnen ein, soviel er wollte, und speiste die Arbeiter mit einem Almosen ab. Die Illegalen glaubten, mit diesem System solle ihnen aus ihrem Dilemma geholfen werden. Doch das Gesetz hatte einen anderen Namen dafür: Sklaverei.
    Sie säßen in der Falle, sagte Kumhar. Sie hätten nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie arbeiteten weiter und hofften, daß sie früher oder später ihre Papiere erhalten würden, oder sie flohen und

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