09 - Denn sie betrügt man nicht
schlugen sich nach London durch, wo sie vielleicht in der asiatischen Gemeinde untertauchen konnten, ohne entdeckt zu werden.
Emily hatte genug gehört. Alle steckten sie mit drin: der ganze Malik-Clan und Haytham Querashi ebenfalls. Es war ein Fall gemeiner Geldgier. Querashi war der Schweinerei an jenem Abend im Castle Hotel auf die Spur gekommen. Er hatte auch ein Stück von dem Kuchen abhaben wollen. Er war abgeschmettert worden. Im wahrsten Sinne des Wortes. Zweifellos hatte er sich Kumhars bedient, um die Familie zu erpressen, seine Forderungen zu erfüllen. Entweder sie würden ihn finanziell beteiligen, oder er würde das ganze Unternehmen auffliegen lassen, indem er Kumhar veranlaßte, sich an die Polizei oder die Presse zu wenden. Schlau gedacht. Er hatte damit gerechnet, daß die Habgier der Familie über eine eventuelle Versuchung, es darauf ankommen zu lassen, siegen würde. Und seine Forderung, ihn am Geschäft zu beteiligen, war ja so abwegig nicht gewesen. Er hätte ja schon bald zur Familie gehört. Er verdiente seinen gerechten Anteil an dem, was alle anderen genossen. Besonders Muhannad.
Tja, nun würde Muhannad sich von seinem Oldtimer, seiner Rolex, seinen Schlangenlederstiefeln, seinem funkelnden Brillantring und seinen goldenen Ketten verabschieden müssen. Dort, wo er hingehen würde, würde er sie nicht mehr brauchen.
Und damit wäre Akram Malik in der Gemeinde erledigt. Die ganze asiatische Bevölkerung wäre erledigt. Die meisten dieser Leute arbeiteten sowieso für ihn. Und wenn die Fabrik infolge der Ermittlungen über die schmutzigen Geschäfte der Maliks schließen mußte, würde sie fortziehen müssen, um sich anderswo Arbeit zu suchen. Diejenigen, die rechtmäßig im Land waren.
Sie war also auf dem richtigen Weg gewesen, als sie die Senffabrik hatte durchsuchen lassen. Sie hatte bloß nicht daran gedacht, sie nach Menschen statt nach Waren durchsuchen zu lassen.
Jetzt gab es eine Menge zu tun. SO1 mußte eingeschaltet werden, um eine Untersuchung der internationalen Verflechtungen der Operation anzuleiern. Das IND mußte informiert werden, um die Deportation von Muhannads illegalen Arbeitskräften zu veranlassen. Einige von ihnen würde man natürlich als Zeugen beim Prozeß gegen ihn und seine Familie brauchen. Vielleicht im Austausch gegen eine Aufenthaltserlaubnis, überlegte sie. Das wäre eine Möglichkeit.
Sie sagte zu Azhar: »Eines noch, wie kam Mr. Kumhar mit Mr. Querashi in Kontakt?«
Er sei eines Tages an seinem Arbeitsplatz erschienen, erklärte Kumhar. Sie hatten sich gerade am Rand eines Erdbeerfelds zur Mittagspause niedergesetzt, als er plötzlich zu ihnen gekommen war. Er suche jemanden, mit dessen Hilfe er ihrer Knechtschaft ein Ende bereiten könne, hatte er gesagt. Er hatte Sicherheit und einen neuen Anfang in England versprochen. Kumhar war nur einer von acht Männern gewesen, die sich freiwillig gemeldet hatten. Querashi hatte Kumhar gewählt und ihn noch an diesem Nachmittag mitgenommen. Er hatte ihn nach Clacton gefahren, ihm ein Zimmer bei Mrs. Kersey besorgt und ihm zum Zeichen seiner guter Absichten einen Scheck für seine Familie in Pakistan gegeben.
Na klar, dachte Emily voller Verachtung. Da war es doch nur um Knechtschaft in einer anderen Form gegangen, wobei Querashi Kumhar als Druckmittel gegen Muhannad Malik und seine Familie einsetzen wollte. Kumhar war nur zu dumm gewesen, um das zu merken.
Sie mußte nach oben in ihr Büro, um zu sehen, wie weit Barbara bei ihrer Suche nach Muhannad gekommen war. Aber sie konnte Azhar jetzt nicht gehen lassen, sonst würde er postwendend seine Verwandten informieren, daß man ihnen auf die Schliche gekommen war. Sie konnte ihn als Mithelfer festhalten, aber ein falsches Wort aus ihrem Mund, und er würde so schnell einen Anwalt verlangen, daß ihr schwindlig wurde. Besser, ihn bei Kumhar zu lassen und ihm einzureden, er diene den besten Interessen aller Betroffenen.
Sie sagte zu Azhar: »Ich brauche eine schriftliche Aussage von Mr. Kumhar. Darf ich Sie bitten, bei ihm zu bleiben, während er sie schreibt, und dann eine Übersetzung für mich anzufügen?«
Das müßte gut zwei Stunden in Anspruch nehmen, dachte sie.
Kumhar sprach aufgeregt auf Azhar ein. Seine Hände zitterten, als er sich schon wieder eine Zigarette anzündete.
»Was sagt er jetzt?« fragte Emily.
»Er möchte wissen, ob er seine Papiere bekommt. Jetzt, wo er Ihnen die Wahrheit gesagt hat.«
Azhars Blick war eine Herausforderung.
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