09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)
wispernden Toten hassen jene, die warm sind und sich schnell bewegen. Und stets suchen sie nach anderen verfluchten Seelen, die sie zu sich locken können.«
»Die haben bestimmt kein Totenhemd in meiner Größe.« Der Zwerg stocherte mit einem Schürhaken in der Glut.
»Hass treibt die Steinmenschen längst nicht halb so wie Hunger.« Haldon Halbmaester hatte sich einen gelben Schal um Mund und Nase geschlungen, was seine Stimme dämpfte. »In diesem Nebel wächst nichts, was ein Mann bei klarem Verstand essen würde. Dreimal im Jahr schicken die Triarchen von Volantis eine Galeere mit Vorräten den Fluss hinauf, doch die Almosenschiffe kommen oft zu spät, und manchmal bringen sie mehr hungrige Mäuler mit als Essen.«
Der Junge Greif sagte: »Es muss doch Fische im Fluss geben.«
»Aus diesem Wasser würde ich keinen Fisch essen«, sagte Ysilla. »Auf keinen Fall.«
»Es ist auch nicht gut, den Nebel einzuatmen«, sagte Haldon. »Garins Fluch hüllt uns ein.«
Die einzige Möglichkeit, den Nebel nicht einzuatmen, wäre, gar nicht zu atmen. » Garins Fluch sind nur die Grauschuppen«, sagte Tyrion. Der Fluch befiel häufig Kinder, besonders in feuchten, kalten Gegenden. Das infizierte Fleisch wurde steif, verkalkte und brach auf. Der Zwerg hatte gelesen, die Krankheit könnte durch Zitronen in ihrem Verlauf aufgehalten werden, durch Senfumschläge und siedend heiße Bäder (so sagten die Maester) oder durch Gebete, Opfer und Fasten (so behaupteten die Septone). Auf diese Weise konnte man die Krankheit überstehen, das junge Opfer war zwar entstellt, lebte aber zumindest. Maester und Septone stimmten allerdings darin überein, dass Kinder, die von den Grauschuppen heimgesucht worden waren, sich niemals mit der selteneren, tödlichen Form der Krankheit anstecken konnten, und auch nicht mit ihrem entsetzlich schnellen Vetter, der Grauen Pest. »Feuchtigkeit scheint der Hauptschuldige zu sein«, sagte er. »Faule Dämpfe in der Luft. Nicht Flüche.«
»Die Eroberer haben es auch nicht geglaubt, Hugor Hügel«, sagte Ysilla. »Die Menschen aus Volantis und Valyria hängten Garin in einem goldenen Käfig auf und verspotteten ihn, als er seine Mutter anflehte, sie zu vernichten. Aber in der Nacht stieg das Wasser an und ertränkte sie, und seit diesem Tag haben sie keine Ruhe mehr gefunden. Sie sind noch immer dort unten im Wasser, sie, die einstmals die Herren des Feuers waren. Ihr kalter Odem steigt aus dem dunklen Wasser auf und erzeugt diesen Nebel, und ihr Fleisch ist ebenso zu Stein erstarrt wie ihre Herzen.«
Der Stumpf von Tyrions Nase juckte heftig. Er kratzte sich. Vielleicht hat die alte Frau recht. Dieser Ort ist nicht gut. Ich fühle mich, als wäre ich wieder auf dem Abtritt und schaute meinem Vater beim Sterben zu. Wenn er seine Tage in dieser grauen Suppe verbringen müsste, während sein Fleisch und seine Knochen sich in Stein verwandelten, würde er ebenfalls dem Wahnsinn verfallen.
Der Junge Greif schien seine Befürchtungen nicht zu teilen. »Sollen sie nur versuchen, uns Ärger zu machen, dann zeigen wir ihnen, aus welchem Holz wir geschnitzt sind.«
»Wir sind aus Blut und Knochen, geschaffen als Ebenbild des Vaters und der Mutter«, sagte Septa Lemore. »Hör auf mit der aufgeblasenen Prahlerei, ich bitte dich. Stolz ist eine schwere Sünde. Die Steinmenschen waren ebenfalls stolz, und der Verhüllte war der Stolzeste unter ihnen.«
Die Hitze der Glut trieb Tyrion die Röte ins Gesicht. »Gibt es diesen Verhüllten Lord wirklich? Oder ist das nur ein Märchen?«
»Der Verhüllte herrscht seit Garins Tagen in diesem Nebel«, erklärte Yandry. »Manche sagen, es sei Garin selbst, der sich aus dem nassen Grab erhoben hat.«
»Die Toten erheben sich nicht«, widersprach Haldon Halbmaester, »und kein Mensch lebt tausend Jahre. Ja, einen Verhüllten gibt es. Eine ganze Reihe sogar. Wenn einer stirbt, nimmt ein anderer seinen Platz ein. Der gegenwärtige ist ein Korsar von den Basiliskeninseln, der glaubte, an der Rhoyne gebe es mehr zu holen als im Sommermeer.«
»Ja, das habe ich auch gehört«, sagte Ente, »aber eine andere Geschichte gefällt mir noch besser. Darin heißt es, er sei nicht wie die anderen Steinmenschen, sondern sei ursprünglich eine Statue gewesen, bis eine Graue Frau aus dem Nebel kam und ihn mit Lippen, kalt wie Eis, geküsst hat.«
» Genug «, sagte Greif. »Seid still jetzt, alle.«
Septa Lemore schnappte nach Luft. » Was war das?«
» Wo?« Tyrion konnte
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