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09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)

Titel: 09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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der Schemen klarer. An der Wasserlinie konnte man einen hölzernen Bergfried sehen, der verrottet und überwachsen war. Schlanke Türmchen erhoben sich, manche abgebrochen wie geknickte Speere. Türme ohne Dach tauchten auf, bohrten sich blind in die Höhe und verschwanden. Hallen und Balkone glitten vorüber; zierliche Stützpfeiler, fein gearbeitete Bogen, geriffelte Säulen, Terrassen und Lauben.
    Alles eingestürzt, alles verwüstet, alles verfallen.
    Das graue Moos wuchs hier dicht, bedeckte die Steine, die zu großen Haufen zusammengefallen waren, und überzog alle Türme. Schwarze Ranken krochen in die Fenster hinein und wieder heraus, durch Türen und über Bogengänge und an hohen Steinmauern hinauf. Der Nebel verhüllte drei Viertel des Palastes, aber was man sehen konnte, genügte Tyrion, um zu erkennen, dass diese Inselfestung einst zehnmal so groß wie der Rote Bergfried und hundertmal schöner gewesen war. Er wusste, wo er war. »Der Palast der Liebe«, sagte er leise.
    »So hieß er bei den Rhoynar«, erwiderte Haldon Halbmaester, »aber seit tausend Jahren ist es der Palast des Grams.«
    Die Ruine sah tatsächlich traurig aus, aber wenn man wusste, was sie einst gewesen war, wirkte sie noch viel trauriger. In alten Zeiten hörte man hier Lachen, dachte Tyrion. Es gab Gärten mit bunten Blumen und Brunnen, die golden in der Sonne funkelten. Diese Stufen hallten von den Schritten der Liebespaare wider, und unter dieser eingestürzten Kuppel wurden einst zahllose Ehegelübde mit einem Kuss besiegelt. Wieder musste er an Tysha denken, die für so kurze Zeit seine Hohe Gemahlin gewesen war. Es war Jaime, dachte er verzweifelt. Er war von meinem Blut, mein großer starker Bruder. Als ich klein war, hat er mir Spielzeug gebracht, Fassreifen und Klötze und einen geschnitzten Löwen aus Holz. Von ihm habe ich mein erstes Pony geschenkt bekommen, und er hat mir auch gezeigt, wie ich es reiten kann. Als er sagte, er hätte dich für mich gekauft, habe ich nie daran gezweifelt. Warum sollte ich auch? Er war Jaime, und du warst nur ein Mädchen, das seine Rolle gespielt hat. Das hatte ich von Anfang an befürchtet, von dem Augenblick an, als du mich das erste Mal angelächelt und mir erlaubt hast, deine Hand zu halten. Nicht einmal mein eigener Vater konnte mich lieben. Warum also du, wenn nicht für Gold?
    Durch die langen grauen Finger des Nebels hörte er wieder das tiefe dröhnende Surren einer Sehne, die losschnappt, und das Grunzen von Lord Tywin, als ihn der Bolzen in den Unterleib traf, das Klatschen der Hinterbacken auf dem Stein, als er sich zurückfallen ließ, um zu sterben. »Wohin auch immer Huren gehen«, sagte er. Und wo ist das?, wollte Tyrion ihn fragen. Wohin ist Tysha gegangen, Vater? » Wie lange müssen wir diesen Nebel eigentlich noch ertragen?«
    »In einer Stunde sollten wir die Gram hinter uns haben«, antwortete Haldon Halbmaester. »Von da an sollte es eine wahre Vergnügungsreise werden. Entlang der unteren Rhoyne steht hinter jeder Biegung ein Dorf. Überall gibt es Obsthaine und Weingärten und Getreidefelder, wo die Ernte in der Sonne reift, Fischervolk auf dem Wasser, heiße Bäder und süßen Wein. Selhorys, Valysar und Volon Therys sind Städte mit Mauern, die in den Sieben Königslanden zu den großen Städten zählen würden. Ich glaube, ich werde…«
    »Licht voraus«, warnte der Junge Greif.
    Tyrion sah es ebenfalls. Die Eisvogel oder ein anderer Stakkahn, redete er sich ein, aber irgendwie wusste er, dass das nicht stimmte. Seine Nase juckte. Er kratzte sie kräftig. Das Licht wurde heller, während die Scheue Maid darauf zufuhr. Es schimmerte durch den Nebel wie ein matter Stern in der Ferne und lockte sie zu sich. Kurz darauf waren es zwei Lichter, dann drei; eine unzusammenhängende Reihe von Leuchtfeuern, die sich aus dem Wasser erhoben.
    »Die Brücke der Träume«, erklärte Greif. »Auf dem Bogen werden Steinmenschen stehen. Manche fangen vielleicht an zu klagen, wenn sie uns sehen, aber wahrscheinlich wird man uns nicht belästigen. Die meisten Steinmenschen sind schwächliche Geschöpfe, unbeholfen, schwerfällig, geistlos. Am Ende verfallen alle dem Wahnsinn, doch dann sind sie am gefährlichsten. Falls notwendig, vertreibt sie mit den Fackeln. Aber lasst euch auf gar keinen Fall von ihnen berühren.«
    »Womöglich sehen sie uns nicht einmal«, fügte Haldon Halbmaester hinzu. »Der Nebel wird uns vor ihnen verbergen, bis wir die Brücke fast erreicht haben, und

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