09 Der Sohn des Greifen (alte Übersetzung)
außer Nebel nichts sehen. Die Hitze der glühenden Kohlen wärmte immer noch sein Gesicht.
»Da hat sich etwas bewegt. Ich habe ein Kräuseln im Wasser gesehen.«
»Eine Schildkröte«, verkündete der Prinz fröhlich. »Ein großer Schnapper, das ist alles.« Er stieß mit der Stange voraus und drückte sie von einem aufragenden grünen Obelisken ab.
Der Nebel klammerte sich feucht und kalt an sie. Ein versunkener Tempel ragte halb aus dem Grau, während Yandry und Ente sich auf ihre Staken lehnten und langsam das Schiff dabei vorwärtsdrückten. Sie kamen an einer Marmortreppe vorbei, die abgebrochen mitten in der Luft endete. Dahinter konnte man andere Schatten sehen: eingefallene Türme, kopflose Statuen, Bäume mit Wurzeln größer als ihr Schiff.
»Einst war dies die schönste Stadt am Fluss und die reichste«, sagte Yandry. »Chroyane, die Stadt der Feste.«
Zu reich, dachte Tyrion, zu schön. Es ist nicht weise, die Drachen in Versuchung zu führen. Sie befanden sich jetzt mitten in der ertrunkenen Stadt. Ein verschwommener Schemen flatterte über sie hinweg, bleiche ledrige Flügel schlugen in den Nebel. Der Zwerg reckte den Kopf, weil er sich das Tier genauer ansehen wollte, doch es war so plötzlich verschwunden, wie es erschienen war.
Nicht lange danach schwebte ein weiteres Licht heran. »Schiff«, rief eine Stimme über das Wasser und war nur schwer zu verstehen. »Wer seid Ihr?«
»Die Scheue Maid «, rief Yandry zurück.
»Die Eisvogel . Aufwärts oder abwärts.«
»Abwärts. Häute und Honig, Bier und Talg.«
»Aufwärts. Messer und Nadeln, Spitze und Leinen, Gewürzwein.«
»Nachrichten aus Alt-Volantis?«, rief Yandry.
»Krieg«, kam die Antwort.
»Wo?«, schrie Greif. »Wann?«
»Zur Jahreswende«, lautete die Antwort. »Nyessos und Malaquo gehen Hand in Hand, und die Elefanten zeigen Streifen.« Die Stimme verklang, während sich das andere Schiff entfernte. Sie schauten zu, wie das Licht kleiner wurde und verschwand.
»Ist es klug, hier herumzuschreien, wenn ein Schiff in der Nähe ist, das man nicht einmal sehen kann?«, fragte Tyrion. »Wenn das nun Piraten gewesen wären?« Bislang hatten sie Glück gehabt, was Piraten betraf, sie waren unbeobachtet und unbehelligt nachts durch den Dolchsee geschlichen. Einmal hatte Ente einen Blick auf ein Schiff erhascht, von dem er beharrlich behauptete, dass es Urho dem Ungewaschenen gehörte. Die Scheue Maid fuhr mit dem Wind. Urho – falls es denn Urho gewesen war – hatte kein Interesse an ihnen gezeigt.
»Die Piraten segeln nicht in die Gram«, sagte Yandry.
»Elefanten mit Streifen?«, murmelte Greif. »Was soll das denn heißen? Nyessos und Malaquo? Illyrio hat Triarch Nyessos genug gezahlt, um ihn achtmal in der Tasche zu haben.«
»In Gold oder in Käse?«, spöttelte Tyrion.
Greif drehte sich zu ihm herum. »Solange du mit deinem nächsten Witz diesen Nebel nicht zerteilen kannst, behalte ihn für dich.«
Ja, Vater, hätte der Zwerg beinahe geantwortet. Ich werde schweigen. Danke. Er kannte diese Volantener nicht, trotzdem schien es ihm, dass Elefanten und Tiger wahrscheinlich gute Gründe hatten, sich zusammenzutun, wenn sie es mit Drachen zu tun bekamen. Vielleicht hat der Käsehändler die Lage falsch eingeschätzt. Man kann einen Mann mit Gold kaufen, aber nur Blut und Stahl gewährleisten seine Treue.
Der kleine Mann stocherte erneut in der Glut herum und blies auf die Kohlen, um sie anzufachen. Ich hasse es. Ich hasse diesen Nebel. Ich hasse diesen Ort, und Greif kann ich auch nicht wirklich leiden. Tyrion hatte immer noch die giftigen Pilze bei sich, die er im Hof von Illyrios Anwesen gepflückt hatte, und es gab Tage, da hätte er sie Greif am liebsten ins Abendessen gemischt. Das Dumme war nur, dass Greif nur selten zu essen schien.
Ente und Yandry schoben das Schiff mit den Stangen voran. Ysilla drehte am Ruder. Der Junge Greif drückte die Scheue Maid von einer Turmruine ab, deren Fenster sie anstarrten wie blinde schwarze Augen. Über ihnen hing schlaff und schwer das Segel. Das Wasser unter dem Rumpf wurde tiefer, bis die Stangen den Boden nicht mehr berührten, doch die Strömung trieb sie immer weiter flussabwärts, bis …
Tyrion sah lediglich eine riesige Erhebung im Fluss, buckelig und unheimlich. Er hielt es für einen Hügel, der aus einer bewaldeten Insel aufragte, oder für einen riesigen, mit Moos und Farn bewachsenen Felsen, der vom Nebel verborgen wurde. Während die Scheue Maid näher kam, wurde
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