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09-Die Pfade des Schicksals

09-Die Pfade des Schicksals

Titel: 09-Die Pfade des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Ausnahme.
    Sie sangen ein Lied, das Covenant auswendig kannte.
     
    Zweige spreizen sich, Baumstämme wachsen
    In Regen und Hitze und Schnee und Kälte;
    Im grimmigen Sturmgetöse der weiten Welt,
    Bei Erdbeben gar und jähen Felsenstürzen.
     
    Mein Laub wird grün, und Sämlinge gedeihen.
    Seit uralten Tagen, als die Erde jung war
    Und die Zeit ihren Weg zum Untergang begann,
    Verhüllt des Waldes Majestät den kahlen Fels,
     
    Verhindert staubige Brachen und somit den Tod.
    Ich bin die Stütze des Schöpfers des Landes:
    Ich nehme allen ausgeatmeten Odem in mich auf
    Und atme Leben aus, das zusammenfügt und heilt.
    Im Bogen der Zeit unsichtbar und von den Waldhütern unbemerkt, hatte Covenant diese Szene oft beobachtet. Er liebte diese Zeremonie von ganzem Herzen.
    Caerroil Wildholz war ebenso da wie Cav-Morin Fernhold. Dhorehold aus dem Dunkel. Einer, der Magister von Andelain hieß; ein anderer, der sich Syr Kampfbereit nannte und tat, was er konnte, um die Riesenwälder zu schützen. Und noch viele mehr. In ihrer Zeit hatten sie aufmerksam über alles gewacht, was an dem Land kostbar gewesen war: kostbar und zum Untergang verurteilt. Hier waren sie in Musik und Magie gehüllt, in die wehmütige, gewichtige Sorge ihres Kampfes, den unaufhaltsamen Mord an den Bäumen zu verlangsamen.
    Trotzdem beunruhigte Covenant irgendetwas an dieser Szene: Etwas, das weder Kummer noch Bedauern noch Zorn war. Gewiss, er war fasziniert; aber er war auch beunruhigt. Auf irgendeine Weise, die er nicht ergründen konnte, war dieses Konklave der Forsthüter anders, als er es in Erinnerung hatte. Es wirkte platt; zu oberflächlich, um wahr zu sein. Es erinnerte an eine von geringeren Wesen aufgeführte Maskerade: in allen Einzelheiten korrekt, aber irgendwie gehaltloser, als sie hätte sein sollen.
    Wären die Bäume und die Lichtung und die Waldhüter etwas anderes als eine Erinnerung gewesen, hätte Covenant daraus vielleicht geschlossen, er habe seinen Gesundheitssinn eingebüßt. Er konnte nicht in sie hineinsehen; also konnte er eigentlich gar nichts sehen.
    Joan war zu stark für ihn. Turiya Herem war zu stark. Gelang es ihnen nicht, ihn zu töten, würde er den Tsunami niemals überleben.
    Linden würde vielleicht noch ein paar Tage durchhalten, dann würde auch sie untergehen.
    Er hatte sie verlassen, als hätte er sie nie geliebt.
    Ohne Vorwarnung begannen die Waldhüter seine Erinnerung an sie zu übertreten.
    Sie sangen im Chor: »Nur Fels und Holz kennen die Wahrheit der Erde. Die Wahrheit des Lebens.«
    »Aber Holz lebt zu kurz«, intonierte Dhorehold aus dem Dunkel. »Alle Unermesslichkeit wird vergessen.«
    »Ungestärkt«, antwortete der Magister von Andelain, »kann Holz sich nicht an die Sage von dem Koloss, an die Notwendigkeit erinnern, dem Übel zu steuern …«
    »Es gibt zu viel«, bestätigten die Waldhüter wie aus einem Mund. »Macht und Gefahr. Bösartigkeit. Ruin.«
    »Und zu wenig Zeit«, fügte Syr Kampfbereit an. »Die letzten Tage des Landes sind gezählt. Ohne Unterbindung bleibt zu wenig Zeit.«
    Wie bei einem Wechselgesang skandierten die Waldhüter: »Werdet wie Bäume, wie Baumwurzeln. Sucht gewachsenen Fels.«
    Nein!, protestierte Covenant. Er fühlte sich jäh verwundet; in tiefster Seele verletzt. Nein. So ist es nicht gewesen. Ich habe etwas anderes gehört.
    Während die letzten Noten ihrer Litanei unter den Bäumen verhallten, verließ Cav-Morin Fernhold die Reihen der anderen und baute sich direkt vor Covenant auf.
    Er betrachtete Covenant, der nicht da war.
    »Zeitenherr«, sinnierte Cav-Morin in einem Tonfall, der Covenant zutiefst anrührte, »dies ist unrecht.« Er hatte schon immer zu Covenants Favoriten unter seinen Artgenossen gehört: ein sanfteres Wesen, das auch einmal menschliche Einmischung zuließ, selbst wenn es keinen objektiven Grund dafür sah. Auf seine Weise hatte der Waldhüter die Ranyhyn geliebt, wie die Ramen sie liebten. »Deine Gegenwart ist unrecht. Kannst du das nicht erkennen?
    Deine Zeit liegt außerhalb unserer Erkenntnis. Du wirst dort gebraucht, nicht hier. Du wirst dort geliebt, nicht hier.
    Es muss Unterbindung geben. Das Ende muss durch die Wahrheiten von Stein und Holz, von Orkrest und Verweigerung aufgehalten werden.«
    Mit diesen Worten wandte er sich ab. In Sonnenschein wie in Musik und Glorienschein gehüllt kehrte er zu den anderen Waldhütern zurück.
    Covenant hatte plötzlich das Gefühl, in Flammen zu stehen. Seine Nerven brannten. Seine

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