09-Die Pfade des Schicksals
deiner Absichten einschätzen können.«
Der Eifrige nickte, dann erwiderte er unerwartet ernst: »Mähnenhüter, das kann ich nicht. Denk nicht schlecht von mir, wenn ich feststelle, dass jeder Versuch, die Taten und Entscheidungen der Lady zu lenken oder zu beeinflussen, zu Recht als grobe Einmischung betrachtet würde. Ich habe den Auftrag, dafür zu sorgen, dass der Schwur des Eggers strikt eingehalten wird. Aber es ist nicht meine Aufgabe, der Lady bei seiner Auslegung Hilfestellung zu geben.
Weil ich den Egger persönlich nicht leiden kann, wäre es mir gewiss ein Vergnügen, seine Pläne zu durchkreuzen. Habe ich nicht zugegeben, selbst anfällig für Gier zu sein? Hier verkörpere ich jedoch den vereinten Willen der Insequenten. Jedes Abweichen von diesem Entschluss würde das geheiligte Verbot durchbrechen, das die Insequenten so lange leben und gedeihen lässt. Würde ich dir antworten, würde ich mein eigenes Todesurteil sprechen und nichts als Kummer und Sorgen bewirken.«
Diese Argumentation kannte Linden bereits. Der Theomach und die Mahdoubt hatten - jeweils auf ihre eigene Art - ähnliche Argumente vorgebracht. Als sie begriff, dass der Eifrige versuchte, einen ebenso geraden Weg wie sie zu gehen - dass seine Mehrdeutigkeiten allein durch die spezielle Ethik der Insequenten bedingt waren -, fand sie wenigstens ihre Stimme wieder. Obwohl sie kaum wusste, was sie sagen wollte, schlug sie unsicher vor: »Dann wollen wir fair spielen. Kann der Egger nicht zu Pferd sitzen, solltest du nicht aus dem Sattel auf ihn herabsehen können.«
Oder auf sie.
Der Egger bedachte sie mit einem Blick seiner leeren Augen, den Linden nicht zu deuten vermochte, und der Eifrige überraschte Linden erneut, indem er in schallendes Gelächter ausbrach. »Wohl gesprochen, Lady. Kein Wunder, dass die Mahdoubt große Stücke auf dich gehalten hat, auch wenn deine vielen Extravaganzen mir unüberlegt erscheinen. Ich bin weder mächtiger noch fehlerloser als der Egger. Ich bin nur dazu ausersehen worden, den Willen der Insequenten durchzusetzen.«
Noch immer lachend sandte er nach allen Seiten chartreuse-gelbe und pechschwarze Bänder aus, die mit Karmesinrot und Himmelsblau durchwoben waren. Sie schienen losgelöst von ihm zu schweben, als könnten sie sich jeden Augenblick losreißen; aber er verlor sie nicht, und sie lösten sich auch nicht. Statt dessen bewirkten sie zu Lindens Verblüffung, dass sein Reittier verschwand.
Anders als der Egger stürzte der Eifrige jedoch nicht zu Boden sondern schwebte in seine bunten Bänder gehüllt sanft ins Gras, als wäre seine massige Gestalt leicht wie eine Feder.
Von diesem Schauspiel entzückt lachten die Riesinnen mit ihm, und der sichtlich erfreute Eifrige sah mit kindlichem Staunen zu ihnen auf, bewegte die Arme und ließ die Bänder seines Gewands einem Freudentanz gleich durcheinanderflattern. Ihre flüchtige Heiterkeit berührte Linden nicht. Aber sie gab ihr Gelegenheit, sich zu sammeln und nachzudenken. Welches Täuschungspotenzial mochte im Schwur des Eggers liegen?
Aus dem Augenwinkel heraus nahm sie Covenant und seine Begleiter wahr, der sie und die Insequenten ignorierte oder mied und die Gedemütigten und die ihnen folgenden Riesinnen und Ramen zum Rand der Senke geführt hatte. Dort angekommen, kehrte er nun wieder um und machte sich langsam auf den Rückweg zu dem abgestorbenen Baumstumpf und Loriks Krill. Sein Benehmen wirkte noch immer zusammenhanglos, schien zwischen Verständnis und Verwirrung zu wechseln.
Linden, die sich daran erinnerte, was er zuletzt gesagt hatte, wandte sich leise an Stave: »Worüber reden sie?« Sie nickte zu Covenant und den Meistern hinüber. »Hat er sie über den Theomach aufgeklärt? Oder die Insequenten?«
Stave konnte die mentale Kommunikation der Haruchai weiterhin mithören, obwohl er selbst gelernt hatte, seine eigenen Gedanken vor ihnen zu verschließen. Er antwortete ebenso leise: »Der Ur-Lord spricht nicht von dem Theomach. Sein diesbezügliches Angebot scheint er im nächsten Augenblick vergessen zu haben.« Vielleicht, dachte Linden, meinte er damit: sobald es seinen Zweck, die Gedemütigten abzulenken, erfüllt hatte. »Stattdessen wandert er kreuz und quer durch die Anfänge der Geschichte der Haruchai und erzählt Sagen, die niemand je vergessen hat. Die Riesinnen scheinen darüber erfreut zu sein, und die Ramen behalten die Gedemütigten weiterhin scharf im Auge.«
»Werden sie den Eifrigen angreifen?«, fragte
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