09-Die Pfade des Schicksals
über ihren Körper; die Realitäten schienen zu taumeln und zu schwanken; aus ihrem Herz fiel der Boden heraus - direkt in die unergründlichen Augen des Eggers. Sie rang nach Atem, versuchte zu schreien: Du Dreckskerl, du Schweinehund! Aber sie brachte kein Wort heraus. Du wolltest ihn benutzen? Nach allem, was er schon erlitten hat?
Der Eifrige strahlte sie an, als wäre er mit dem Ergebnis seiner Beharrlichkeit zufrieden.
»Linden!«, protestierte Liand. »Deinen Sohn? Ist dieser Inse-quente so herzlos, wie er den Elohim vorwirft?«
0 Gott. Linden zwang sich dazu, tief durchzuatmen; kämpfte darum, ihr Gleichgewicht zurückzugewinnen. Sie hatte Ihre Macht noch nicht abgegeben: Sie konnte sich noch immer anders entscheiden.
Sie allein wird bestimmen, was zum Umfang deines Schwurs gehört und was nicht.
Der Eifrige hatte angedeutet, er werde verhindern, dass der Egger gegen ihren Willen etwas mit Jeremiah anstellte. Sie konnte es sich leisten, sich den Rest der Rechtfertigung des Eggers anzuhören.
Dieser Gedanke, diese Hoffnung oder diese Wunschvorstellung war es, die Linden die Kraft gab, mit zusammengebissenen Zähnen zu verlangen: »Weiter!«
»Trotzdem weiß Infelizitas nicht«, fuhr der Egger fort, »welche Verwendung ich wirklich beabsichtige. Sie bildet sich ein - und fürchtet -, dass ich ähnliche Absichten hege wie der Vizard. Das wäre der ›ewige Verlust‹, den sie verabscheut. Sie glaubt, dass ich ein Gefängnis für die Elohim bauen will - und töricht genug bin, mir einzubilden, die Schlange werde sich harmlos zurückziehen, wenn sie von ihrer natürlichen Nahrung abgeschnitten wird.
Aber so närrisch bin ich nicht. Die Elohim sind kaum mehr als weise gemachte Erdkraft. Kann die Schlange sich nicht von ihnen ernähren, verschlingt sie andere, bis ihr Hunger gestillt ist. Darin gleicht sie jedem anderen Tier. Die Elohim einzukerkern, würde zwar meinen Stolz befriedigen, aber nicht viel mehr bewirken. Lady …« Der Egger zögerte kurz, sah zu dem Eifrigen hinüber und zuckte dann nochmals mit den Schultern. »Ich beabsichtige, Gesetz und wilde Magie von deinem Sohn gebrauchen zu lassen. Hat er beides zur Verfügung, besitzt er genügend Macht, um ein Gefängnis zu erschaffen, in das die Schlange sich begeben muss, ohne es wieder verlassen zu können. Du kannst das nicht an meiner Stelle bewirken. Dafür gibt es viele Gründe, von denen ich nur zwei nennen will.
Erstens fehlt dir meine Kenntnis solcher Theurgien. So extrem deine Wünsche auch sein mögen, verstehst du nicht, welche Hilfe dein Sohn genau braucht. Du kannst dich nicht von Einsichten leiten lassen, die du nicht gewonnen hast. Deine Intervention würde den Misserfolg deines Sohns garantieren.
Zweitens besitzt er allein kein ausreichendes Wissen, um das Gefängnis zu erschaffen, das ich mir vorstelle. Ihm war noch kein jahrhundertlanges Studium zur Vervollkommnung seiner Talente gegönnt. Deshalb muss ich auf das Einverständnis des Croyel setzen.«
Linden verstand ihn sofort, fast gegen ihren Willen. Der Croyel: dieser scheußliche Sukkubus, den sie zuletzt an Jeremiahs Hals hängen gesehen hatte, wo er ihm Leben und Verstand aussaugte, während er ihm Macht verlieh. Instinktiv begriff sie, dass der Egger ihren Sohn unter der Kontrolle dieses Scheusals lassen wollte. Der finstere Insequente brauchte mehr als Erdkraft und wilde Magie und Jeremiahs Talent für kunstvolle Bauten: Er brauchte das Wissen des Croyel und seine speziellen Fähigkeiten.
Die bloße Vorstellung machte sie maßlos zornig. Um Jeremiahs willen hätte sie den Egger am liebsten niedergeschlagen, ihn totgetrampelt. Und um Jeremiahs willen beherrschte sie sich. Sie glaubte der Behauptung des Eggers, allein er könne sie zu ihrem Sohn bringen.
»Wirst du das zulassen?« Liand schleuderte dem Eifrigen seine eigene Wut und Verzweiflung entgegen. »Ist es bezeichnend für eurer Volk, dass ihr ein Kind leiden lasst? Hatte einzig die Mahdoubt ein mitfühlendes Herz?«
Der Eifrige verzog das Gesicht zu einer kummervollen Miene und schwieg. Seine Bänder umflatterten ihn unschlüssig, doch seine Emotionen bedeuteten Linden nichts.
Sie allein wird bestimmen … Und wir werden deinen Schwur erst als erfüllt ansehen …
»Du sagst mir noch immer nicht die Wahrheit«, stellte sie fest. »Du wolltest meine Macht, seit wir uns erstmals begegnet sind. Du wolltest Jeremiah und den Croyel. Aber du hast nicht gewusst, dass ich die Schlange wecken würde. Das konntest du
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