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09-Die Pfade des Schicksals

09-Die Pfade des Schicksals

Titel: 09-Die Pfade des Schicksals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Angst davor, mich nach ihm umzusehen.«
    Keiner der Angesprochenen sah weg. Auch die Gedemütigten betrachteten ihn ausdruckslos.
    Leise antwortete Raureif Kaltgischt: »Der Egger hat den Torbogen oder das Portal jenseits der Brücke erreicht. Er hat sich am Rand der extremen Dunkelheit, die das Erbe des Steinhauseners nicht durchdringen kann, auf ein Knie niedergelassen. Vielleicht bereitet er Beschwörungen vor, vielleicht auch nicht. Den Weißgoldring drückt er sich mit einer Faust an die Stirn. Mit der anderen Hand hält er den vor ihm stehenden Stab des Gesetzes senkrecht. Soviel ich erkennen kann, scheint er keine Magie einzusetzen, sondern mit gebeugtem Haupt zu verharren, als sänne er nach.«
    Der Rand des Abgrunds war zu nahe. Wasser tropfte oder floss in kleinen Rinnsalen von den Spitzen der Stalaktiten, als träte das Lebensblut der Erde Tropfen für Tropen aus. Das Netz aus Malachitadern, das den Obsidian unter Covenants Stiefeln definierte oder zerriss, rief die Illusion hervor, dort flösse etwas unaufhörlich in Richtung Abgrund.
    »Er versucht, einen Zugang zu finden.« Covenant war kaum bewusst, dass er sprach. Die Besorgnis des Eifrigen war ansteckend. Sie erzeugte Schwindel. »Hinter diesem leeren Bereich liegt die Verlorene Tiefe. Die Heimat der Gräuelinger, als es noch Gräuelinger gegeben hat. Dort haben sie sich fortgepflanzt - ebenso wie die Dämondim und die Urbösen. Aber die Verlorene Tiefe ist geschützt. Kann der Egger sie nicht öffnen, kommen wir nicht hinein. Deswegen sind wir hier. Deshalb sind wir nicht schon bei Jeremiah. Dort kann niemand hinein, wenn nicht zuvor das Portal geöffnet wird.«
    Stave und die Meister betrachteten ihn stumm, als könnte sie nichts von alldem überraschen; Linden jedoch starrte Covenant düster an. Sie war leichenblass; ihre Wangen waren blutleer, und auch in den Gesichtern von Liand und den Ramen standen namenlose Ungewissheit und Zweifel. Unter ungeheuren Steinmassen begraben, erweckte selbst der Mähnenhüter den Eindruck, er könne eingeschüchtert werden.
    Covenant bemühte sich, seine Erinnerungen in Worte zu fassen: »Dieser Abgrund … durch ihn haben die Gräuelinger sich geschützt. Sich isoliert. Er ist mehr als nur eine Kluft. Dort unten lauert eine schreckliche Macht.
    Hölle und Blut«, keuchte er. »Es ist so schwierig. Ich kann nicht denken …« Jedes Wort war so gefährlich wie ein Sturz in den Abgrund. Er sprach in weißen Dampfwolken, die sich in Nichts auflösten. »Als die Gräuelinger diese Brücke erbauten, haben sie ihr den Namen Wagnis gegeben. Aber eine einfache Übersetzung wird ihr nicht gerecht. Mit ›Wagnis‹ haben sie nicht nur die schreckliche Macht in der Tiefe gemeint. Und sie wollten nicht nur ausdrücken, dass sie Vorkehrungen getroffen haben, damit die Brücke einstürzt, wenn jemand versucht, die Verlorene Tiefe zu betreten, ohne die Zugangsformel zu kennen. Vielmehr war die Brücke auch ihr Wagnis.
    Für ihren Bau haben sie alles riskiert. Wer sie waren. Wie sie sich selbst sahen. Sie war ihre einzige Verbindung zum Rest des Landes. Zum Rest der Erde. Verließen sie die Verlorene Tiefe über diese Brücke, konnte alles, was sie je erstrebt, getan oder erreicht hatten, vernichtet werden. Solange sie isoliert blieben, konnten sie glauben, vollkommen zu sein. Aber sie waren clever genug, um zu wissen, dass die Erde groß ist. Schon das Land ist groß. Dort konnten sie Wesen und Mächten begegnen, die sie armselig aussehen lassen würden.
    Das Wagnis haben sie geschaffen, weil sie viel zu intelligent waren, um sich mit vermeintlicher Perfektion zufriedenzugeben, die nicht erprobt war. Nüchtern verglichen. Kritisch bewertet.«
    Das würden die Haruchai besser verstehen als jeder andere.
    Hinter sich hörte er Anele erregt irgendetwas murmeln. Aber Lindens Blick hielt ihn gefesselt, und er wollte den Blickkontakt keine Sekunde lang abreißen lassen. Hätte er während seines Aufenthalts im Bogen der Zeit in ihre Augen - in ihr Herz - blicken können, wäre er vielleicht damit zufrieden gewesen, bis ans Ende aller Tage dort zu bleiben.
    »Weiß der Egger, wie man das Portal öffnet?«
    Lindens Frage schmerzte Covenant. Seine bruchstückhaften Erinnerungen wurden immer wertloser, je dringender er auf sie angewiesen war. All diese im Bogen verbrachten Jahrtausende, vergeudet…
    Mit heiserer Stimme gestand er: »Das musst du den Eifrigen fragen. Ich habe es vergessen. Wenn ich es jemals gewusst habe.«
    Covenant

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