09 - Old Surehand III
plötzlich ein unbrauchbarer Krieger geworden ist?“
„Nein. Weiß Schahko Matto nicht, warum ich ihn hier lasse? Wer schützt unsere Pferde, wenn während unserer Abwesenheit ein Bär erscheint oder vielleicht menschliche Feinde kommen?“
Auf Holbers oder gar Treskow war da allerdings kein Verlaß. Der Osage fühlte sich gehoben und antwortete in stolzem Ton:
„Den Pferden wird nichts geschehen. Meine Brüder können ohne Sorge sein!“
Wir fünf nahmen also unsere Gewehre und gingen. Nach vielleicht zehn Minuten erreichten wir die Schlucht und drangen in dieselbe ein. Aufwärts steigend, suchten wir jedes Geräusch zu vermeiden, und waren um so vorsichtiger, je höher wir kamen. Der kleine Dick ging als der zweite gleich hinter Winnetou; er zeigte ein höchst zuversichtliches Gesicht. Wenn es auf dieses Gesicht ankam, so rissen alle grauen, schwarzen, braunen und sonstigen Bären aus!
Bei der gestrigen Stelle angelangt, wurde unser Weg eine Strecke auf- und eine Strecke abwärts sehr genau untersucht. Es war nichts zu sehen; der Bär war nicht herübergewechselt. Nun ging es über den Spring und die felsige Steilung hinauf, Winnetou voran und Hammerdull noch immer als der zweite hinter ihm her. Wir trafen auf die Gänge, welche wir schon gestern gesehen hatten. Diese Gänge vereinigten sich zu einem ausgetretenen Bärenpfad, welcher um eine scharfe Felsenecke führte. Winnetou passierte sie nicht sofort. Er schob den Kopf nur so weit vor, daß er mit einem Auge nach jenseits schauen konnte. Er blieb unbeweglich stehen und winkte mit zurückgestreckter Hand uns tiefste Geräuschlosigkeit zu. Ich war überzeugt, daß er den Bären sah. Als er sich dann wieder zu uns wendete, strahlte sein ganzes Angesicht.
Er nahm Hammerdull bei den Schultern und schob ihn, ohne ein Wort zu sagen, ganz leise, leise, langsam an die Ecke und ließ ihn vorsichtig um dieselbe schauen. Der Kleine zog schon im nächsten Augenblick den Kopf zurück und schob sich rasch an mir und den andern vorüber, bis er an die letzte Stelle kam. Er war leichenblaß geworden! Nun lugte auch ich um die Kante. Da sah ich freilich, daß es keine Schande für Hammerdull war, blaß geworden zu sein! Zwischen dem Felsen und dichtem Gedorn führte ein hartgetretener Sohlengang nach einer Stelle, wo das Gestein eine massive Hinterwand und ein weit überhängendes Dach bildete. Dort lag, vor Wind und Regen geschützt, auf zusammengescharrter Erde, Gras und Zweiggehäuf der König der grauen Bären. Ja, diesen Namen verdiente er, denn von dieser Größe hatte ich noch keinen je gesehen. Dieser alte Vater Ephraim war sicherlich seine vierzig Jahre alt; das bezeugte der Pelz, der ein noch viel älteres Aussehen hatte. Dieser Leib, dieser Kopf und diese Glieder! Wenn ich der stärkste Büffel gewesen wäre, hätte ich vor ihm die Flucht ergriffen. Er schlief. Wie mußte dieser Koloß erst aussehen, wenn er sich aufrichtete! Es war gewiß zum Zittern!
Ich trat wieder zurück und ließ auch die andern sich an der männlichen Schönheit und dem herrlichen Profil dieses sohlengängerischen Adonis ergötzen. Dann traten wir zusammen, um zu beraten. Old Surehand und Apanatschka machten ihre Vorschläge; Hammerdull hüllte sich in mutiges Schweigen. Winnetou senkte seinen Blick mit jenem unbeschreiblichen Ausdruck, der mir unvergeßlich ist, in meinen Augen und fragte mich:
„Hat mein Bruder Shatterhand noch das alte Vertrauen zu mir?“
Ich nickte, obgleich ich nun wußte, was er vorhätte.
„Zu mir, zu meiner Hand und zu meinem Messer?“ fragte er wieder.
„Ja.“
„Will er mir sein Leben anvertrauen?“
„Ja.“
Ich hätte nicht nein gesagt, auch wenn mir bange gewesen wäre, denn Winnetou hätte sich mir auch unbedenklich anvertraut.
„Meine Brüder mögen kommen!“
Er führte uns zurück nach einem dichten Busch. Dort blieb er stehen und sagte:
„Hinter diesem Strauch verstecke ich mich. Old Shatterhand wird mir den Bären bringen und ihn hier vorüberführen. Meine andern Brüder mögen sich da drüben hinter jene Steine niederkauern und aufpassen, was dann geschieht! Old Shatterhand und Winnetou sind eins. Beide haben einen Leib, eine Seele und auch nur ein Leben. Das seinige gehört mir und das meinige ihm. Howgh!“
„Was wollt Ihr tun?“ fragte Old Surehand besorgt.
„Nichts, was Euch erschrecken könnte“, antwortete ich ihm.
„Ich ahne, daß Ihr Euch in eine große Gefahr begeben wollt!“
„Es ist keine, denn ich kenne
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