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09 - Old Surehand III

09 - Old Surehand III

Titel: 09 - Old Surehand III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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verstehe gar wohl, was Ihr meint; aber es gibt so viele Arten der Ungläubigen, daß man wohl zu unterscheiden hat. Der eine ist zu gleichgültig, der andere zu faul, der dritte zu stolz, nach Gott zu suchen; der vierte will sein eigener Herr sein und keinen Gebieter über sich haben; der fünfte glaubt nur an sich, der sechste nur an die Macht des Geldes, der siebente an das große Nichts, der achte an den Urstoff und der neunte, zehnte, elfte und die folgenden alle jeder an sein besonderes Steckenpferd. Ich habe weder die Lust noch das Recht, sie zu klassifizieren und ein Urteil über sie zu fällen. Ich habe meinen Gott, und der ist kein Steckenpferd.“
    „Könnt Ihr Euch auf alles besinnen, was wir damals sprachen?“
    „Ja.“
    „Ich bat Euch, mir meinen verlorenen Glauben wiederzubringen.“
    „Und ich sagte Euch: Ich bin zu schwach dazu; die wahre Hilfe liegt bei Gott.“
    „Und Ihr sagtet noch mehr; ich weiß nur heut die Worte nicht mehr.“
    „Meine Worte waren ungefähr: Ich weise Euch an denjenigen, welcher die Gefühle des Herzens wie Wasserbäche lenkt und welcher sagt: ‚Ich bin die Wahrheit und das Leben!‘ Ihr strebt und ringt nach der Wahrheit; kein Nachdenken und kein Studieren kann sie Euch bringen; aber seid getrost; sie wird Euch ganz plötzlich und ganz unerwartet aufgehen wie einst den Weisen aus dem Morgenland jener Stern, der sie nach Bethlehem führte.“
    „Ja, so sagtet Ihr, Mr. Shatterhand. Ihr habt mir sogar diesen Stern für bald verheißen!“
    „Ich erinnere mich, allerdings gesagt zu haben: Euer Bethlehem liegt gar nicht weit von heut und hier – ich ahne es!“
    „Ich habe es aber leider noch nicht gefunden!“
    „Ihr werdet es finden. Ich sage genau wie damals: Ich ahne es! Es liegt Euch heut vielleicht näher, als Ihr denkt.“
    Er sah mir forschend in das Gesicht und fragte:
    „Habt Ihr einen Grund zu dieser Ahnung?“
    „Ich gebe eine Gegenfrage: Gibt es grundlose Ahnungen?“
    „Ich weiß es nicht.“
    „Oder begründete? – Kann es die geben?“
    „Ich bin ein ungelehrter Mensch. Diese Fragen liegen mir zu hoch.“
    „So mag es dabei bleiben, daß ich es ahne. Betet Ihr täglich?“
    „Beten? – Seit langer Zeit nicht mehr.“
    „So beginnt es wieder! Das Gebet des Gläubigen vermag viel, wenn es ernstlich ist. Und Christus sagt: ‚Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.‘ Glaubt mir, ein inbrünstiges, gläubiges Gebet gleicht einer Hand, welche die Hilfe, die Erhörung aus dem Himmel holt! Ich habe das oft an mir selbst erfahren.“
    „So betet Ihr täglich?“
    „Täglich? Glaubt Ihr etwa, es sei ein Verdienst für den Menschen, täglich oder gar stündlich zu beten? Dann wäre es ja auch ein Verdienst für das Kind, wenn es sich herbeilassen wollte, mit seinem Vater zu sprechen! Ich sage Euch: das ganze Leben des Menschen soll ein Gebet zum Himmel sein! Jeder Gedanke, jedes Wort, jede Tat, all Euer Schaffen und Wirken soll ein Gebet, ein Opfer sein, auf der köstlichen Schale des Glaubens zu Gott emporgetragen! Glaubt ja nicht, daß Ihr mit einem einmaligen Gebet große Wirkungen erzielt! Denkt nicht, daß, da Ihr jahrelang nicht gebetet habt und nun plötzlich einmal beten wollt, Euch der Herrgott auch sofort zur Verfügung stehen und Euern Wunsch erfüllen muß! Der Lenker aller Welten ist keineswegs Euer Lakai; dem Ihr nur zu klopfen oder zu klingeln braucht! Auch ist der Himmel kein Krämerladen, in welchem der Herrgott vorschlägt und mit sich handeln läßt. Was gibt es doch in dieser Beziehung für sonderbare Menschen! Da fährt sich der Herr Müller oder Maier Sonntags mit dem Waschlappen über das von den sieben Wochentagen her schmutzige Gesicht; bindet ein frischgewaschenes Vorhemdchen um, nimmt das Gesangbuch in die Hand und geht in die Kirche, natürlich auf seinen ‚Stammplatz‘ Nummer fünfzehn oder achtundsechzig. Da singt er einige Lieder, hört die Predigt an, wirft einen Pfennig, zwölf Stück auf den Groschen, die jetzt nicht mehr gelten, in den Klingelbeutel und geht dann hoch erhobenen Hauptes und sehr befriedigten Herzens nach Hause. In seinem Gesicht ist deutlich die Überzeugung zu lesen, die er im Herzen trägt: ‚Ich habe für eine ganze, volle Woche meine Pflicht getan; nun, du Gott, der alles geben kann, tue du auch die deine; dann gehe ich nächsten Sonntag wieder in die Kirche! Wenn nicht, so werde ich mir die Sache überlegen!‘ – Glaubt Ihr, Mr.

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