09 - Old Surehand III
so kam es, daß ich Frau und Kinder verließ, Gott sei Dank, zum letzten Male, und mich einigen Männern anschloß, welche hinauf ins Colorado wollten, um dort nach Gold zu Prospekten. Wir kamen auch glücklich hinauf, aber je weiter, desto mehr sehnte ich mich nach Weib und Kindern zurück. Ich sah jetzt ein, daß es nicht dasselbe ist, ob man als lediger oder als verheirateter Mann dort im Gebirge herumklettert und sich auf hundert Gefahren gefaßt machen muß. Wir waren ursprünglich vier Mann gewesen, aber nur zu dritt hinaufgekommen, weil uns einer schon am Fuße der Mountains aus Kleinmut verlassen hatte. Ich will keine lange Geschichte erzählen, sondern mich ganz kurz fassen. Wir suchten unter unbeschreiblichen Anstrengungen und Entbehrungen über zwei Monate lang, ohne eine Spur von Gold zu finden; da stürzte derjenige von uns, welcher sich am besten aufs Prospekten verstand, von einem Felsen und brach den Hals. Nun waren wir nur noch zwei und dazu überzeugt, daß wir nun noch weniger finden würden als vorher, das heißt: früher nichts und jetzt wahrscheinlich gar nichts. Das traf auch richtig ein. Wir hatten kein Glück in der Jagd und hungerten darum viel. Unsere Anzüge zerrissen, und die Stiefel fielen von den Füßen. Es war ein Elend, wie es gar nicht schöner im Buch stehen kann. Ich wurde schwach, mein Kamerad noch viel schwächer und schließlich gar krank. Das war sehr schlimm für ihn, denn es kostete ihn das Leben. Es hatte mehrere Tage lang geregnet, und wir mußten über ein Wildwasser, welches bedenklich angeschwollen war. Ich wollte warten, bis es sich verlaufen hatte; er aber glaubte, glücklich hinüberzukommen, und so mußte ich ihm den Willen tun. Er wurde mit fortgerissen. Nach langem Suchen fand ich ihn ertrunken und zerschmettert in tiefem Grund unten. Ich begrub ihn, wie wir den andern auch begraben hatten: drei Fuß tief, mit kalter Erde und einem warmen, gutgemeinten Gebet bedeckt. Dann war ich ganz allein und hatte natürlich keine andere Wahl, als die halbnackten, wundgelaufenen und aufgerissenen Füße heimwärts zu lenken. Aber das ging nicht so schnell, wie ich gedacht hatte. Ich kam mit meinen geschwächten Kräften nur sehr langsam vorwärts und war zum Sterben matt, als ich nach einigen Tagen den Devils-Head erreichte. Ich war zwar noch nie dagewesen, wußte aber, daß er es war. Der Felsen ist nämlich in seiner Form einem Teufelskopf so ähnlich, als ob an dieser Stelle der Satan einem Bildhauer als Modell gesessen hätte. Ich warf mich in das feuchte Moos nieder und hätte am liebsten weinen mögen. Wasser gab es ja, aber zu essen hatte ich nichts, denn mein Gewehrschloß war kaputt; es war mir unmöglich, ein Wild zu erlegen, und so hatte ich schon seit zwei Tagen keinen Bissen über die Lippen gebracht. Die Mattigkeit überwältigte mich, und ich schloß die Augen, um zu schlafen und vielleicht nicht wieder aufzuwachen. Aber ich öffnete sie noch einmal, ganz ohne daß ich es eigentlich wollte. Ich hatte mich inzwischen auf die Seite gedreht, und so fiel mein müder Blick auf eine andere Stelle des Felsens. Es gab da Buchstaben, welche mit dem Messer oder einem ähnlichen Instrument eingegraben worden waren. Das regte mich an. Es war mir, als ob ich plötzlich wieder Kräfte bekommen hätte; ich stand auf und ging hin, die Schrift zu lesen. Nun sah ich, daß es nicht nur Buchstaben, sondern auch Figuren gab. Von einigen wußte ich nicht, was sie zu bedeuten hatten, doch waren es menschliche Figuren, die über und rechts und links von einem in den Fels gemeißelten Kreuz standen. Unter diesem Kreuz war deutlich zu lesen: ‚An dieser Stelle wurde der Padre Diterico von J.B. aus Rache an seinem Bruder E.B. ermordet.‘ Unter diesen Worten war eine Sonne zu sehen, von welcher links ein E und rechts ein B stand.“
Als der Erzähler bis hierher gekommen war, wurde er von Winnetou unterbrochen:
„Stand dieser Name wirklich am Fels zu lesen? Padre Diterico?“
„Ja.“
„Und der Mörder war mit J.B. bezeichnet?“
„Ja.“
„Kennt mein Bruder Harbour vielleicht einen Menschen, dessen Namen mit dem Buchstaben J.B. beginnt?“
„Solcher Leute wird es wahrscheinlich Tausende geben; ich kenne keinen.“
„Und glaubt mein Bruder, daß dieses Grabmal keine Lüge sagt?“
„Ich bin überzeugt davon.“
„Es kann dennoch eine Lüge sein!“
„Wem sollte das einfallen, und welcher Grund könnte vorhanden sein, eine solche Unwahrheit in den Fels zu
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