09 - Vor dem Tod sind alle gleich
Arroganz brach wieder durch.
»Dein Ton gefällt mir nicht, Schwester. Willst du mich etwa beschuldigen?«
Fidelma blieb unbeeindruckt. »Ich brauche dich nicht zu beschuldigen. Die Umstände sprechen für sich. Aber wenn du mir etwas zu erzählen hast, dann tust du das am besten gleich. Als dálaigh habe ich zu berichten, was ich gesehen habe.«
Äbtissin Fainder starrte sie an, während ihr die Bedeutung dieser Worte aufging. Sie öffnete den Mund, doch für den Augenblick war sie sprachlos.
»Aber ich habe es nicht getan«, sagte sie schließlich.
»Du kannst mich nicht beschuldigen. Das kannst du doch nicht!«
»Wie ich mich erinnere, hat Bruder Eadulf so ziemlich dasselbe gesagt«, hielt ihr Fidelma vor, »und trotzdem wurde er auf viel dünnere Beweise hin angeklagt und verurteilt. Und dich finden wir hier tatsächlich über die Leiche gebeugt, ein Messer in der Hand und von Blut besudelt.«
»Aber ich bin doch…« Die Äbtissin schloß rasch den Mund, als sie begriff, von welchem Dünkel das zeugte, was sie hatte sagen wollen.
»Aber du bist die Äbtissin, während Bruder Eadulf nur ein durchreisender Ausländer war?« schloß Fidelma. »Nun, Äbtissin Fainder? Wir warten auf deine Geschichte.«
Ein Schauer durchlief die Äbtissin. Ihre hochmütige Haltung war dahin, und ihre Schultern erschlafften.
»Bischof Forbassach sagte mir, daß du Gabrán beschuldigt hast, er habe dich gestern abend überfallen.«
Fidelma wartete geduldig.
»Bischof Forbassach meinte, in einer solchen Sache würdest du nicht lügen. Also kam ich her, um von Gabrán eine Erklärung zu verlangen«, fuhr Äbtissin Fainder fort. »Ich konnte deine Geschichte nicht glauben, anders als Forbassach. Gabrán hatte…« Sie zögerte.
»Gabrán hatte was?« fragte Fidelma.
»Gabrán ist als Kaufmann am Fluß wohlbekannt. Er hat seit vielen Jahren mit der Abtei Handel getrieben, lange bevor ich Äbtissin wurde. Eine solche Beschuldigung macht unserer Abtei Unehre und muß untersucht werden. Ich kam her, um zu hören, was Gabrán dazu zu sagen hatte.«
»Du kamst also her in der Hoffnung, daß sich meine Anschuldigung gegen Gabrán als falsch erweisen würde? Sprich weiter.«
»Schließlich fand ich die Cág hier vertäut. Es war niemand in der Nähe. Ich ging an Bord und rief nach Gabrán. Es kam keine Antwort. Ich glaubte eine Bewegung in der Kajüte zu vernehmen, also ging ich hin und klopfte an. Dann hörte ich etwas Schweres fallen… Jetzt weiß ich, daß es der Körper Gabráns war. Ich rief noch einmal und trat ein. Ich sah das gleiche Bild wie du. Gabrán war tot und lag auf dem Rücken in der Kajüte. Überall war Blut. Ich dachte zuerst an den Mann und kniete bei ihm nieder. Ihm war nicht mehr zu helfen.«
»Vermutlich erklärst du damit auch, weshalb deine Kleidung blutverschmiert ist?«
»Ja, dadurch wurde meine Kutte blutig.«
»Was weiter?«
»Ich war entsetzt von den Messerstichen, die man ihm beigebracht hatte. Ich sah das Messer…«
»Wo war das Messer?«
»Es lag neben der Leiche. Ich sah es und hob es auf. Ich weiß nicht, warum ich das tat. Es war wohl eine unbewußte Reaktion. Ich kniete einfach da.«
»Und dann kamen wir.«
Zu Fidelmas Überraschung schüttelte Äbtissin Fainder den Kopf.
»Da war noch etwas, bevor ihr kamt.«
»Was war das?«
»In dem Moment schien es mir nicht wichtig, aber jetzt doch.«
»Weiter.«
»Ich hörte ein leises Plätschern.«
Fidelma zog eine Braue hoch. »Ein leises Plätschern? Wofür hieltest du es?«
»Ich meine, es war der Mörder, der das Schiff verließ.« Die Äbtissin erschauerte leicht.
Fidelma sah sie spöttisch an. »Das Schiff liegt an einer Anlegestelle vertäut. Warum sollte jemand das Schiff auf dem Wege über den Fluß verlassen, noch dazu bei diesem eisigen Wetter. Und wenn der Mörder den Schauplatz verlassen wollte, so hätte er mit deinem ganz in der Nähe angebundenen Pferd die beste Fluchtmöglichkeit gehabt. Ist es nicht so?«
Äbtissin Fainder fand auf Fidelmas erbarmungslose Logik nichts zu erwidern.
»Ich bin sicher, daß jemand auf dem Schiff war und sich ins Wasser gleiten ließ«, wiederholte sie hartnäkkig.
»Das würde sicherlich deine Behauptung, du wärst unschuldig an diesem Verbrechen, unterstützen«, erklärte Fidelma, »doch ich muß sagen, daß es in höchstem Grade unwahrscheinlich ist, daß jemand zur Flucht vom Tatort diesen Weg wählen würde. Sieh nur!«
Sie zeigte auf die Flußseite des Schiffes. Der Fluß
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