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09 - Vor dem Tod sind alle gleich

09 - Vor dem Tod sind alle gleich

Titel: 09 - Vor dem Tod sind alle gleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Tremayne
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Verzweiflung, der Furcht, daß er einem noch schlimmeren Schicksal verfallen sein könnte. Sie konnte nicht wieder einschlafen. So schlecht stand es doch wohl nicht? Sie war überzeugt gewesen, daß Eadulf an diesem Morgen dem Tod entgegengehe. Jetzt war er entkommen. Hatte Brehon Morann es zu zynisch formuliert, als er ihr einmal erklärte, wenn die Dinge sich zu bessern scheinen, dann sei das ein Zeichen, daß man etwas übersehen habe? Was hatte sie übersehen?
    Vergeblich versuchte sie mit Hilfe der Kunst des dercad in den Schlaf zu gelangen, doch ihre Gedanken wurden verdunkelt von der neuen Angst um Eadulf. Es dämmerte schon, als sie endlich in den Schlaf der Erschöpfung fiel. Aus diesem Schlaf erwachte sie ohne die Erinnerung an Träume, aber mit dem Gefühl, daß nicht alles in Ordnung sei.
    *
    Eadulf war in dieser Nacht nicht zu Bett gegangen. Da er wußte, daß dies wahrscheinlich seine letzte Nacht auf Erden sein werde, erschien ihm der Gedanke an Schlaf einigermaßen sinnlos. Er saß auf dem Bett, dem einzigen bequemen Platz in der Zelle, und starrte durch die Gitter des Fensters auf das kleine Stück nachtblauen Himmel. Er versuchte seine herumirrenden, von Panik erfaßten Gedanken in einen klaren Zusammenhang zu bringen, doch sie rebellierten dagegen. Es stimmte nicht, was die Weisen behaupteten, daß ein unmittelbar vom Tode bedrohter Mensch sich stärker konzentrieren könne. Seine Gedanken fuhren hierhin und dorthin. Sie sprangen in seine Kindheit zurück, zu der Begegnung mit Fidelma in Whitby und später noch einmal in Rom und danach zu seiner Reise ins Königreich Muman. Sein Gemüt erging sich in Erinnerungen, bittersüßen Erinnerungen.
    Das Geräusch war gedämpft. Ein Knurren. Ein schwerer Fall. Er stand auf und blickte zur Tür, da wurden die Riegel zurückgeschoben.
    Eine dunkle Gestalt stand im Türrahmen. Sie trug eine Mönchskutte.
    »Es… es kann doch noch nicht Zeit sein«, protestierte Eadulf entsetzt. »Es dämmert ja nicht einmal.«
    Die Gestalt winkte ihm in der Dunkelheit. »Komm«, flüsterte sie dringend.
    »Was ist los?« Eadulfs Ton war abweisend.
    »Komm und rede nicht«, beharrte die Gestalt. Widerwillig schritt Eadulf zur Tür.
    »Du darfst auf keinen Fall etwas sagen. Folge uns einfach«, befahl die verhüllte Gestalt. »Wir sind hier, um dir zu helfen.«
    Er merkte, daß zwei weitere Männer im Gang standen. Einer hielt eine Kerze. Der andere schleppte die reglose Gestalt Bruder Cetts in die Zelle, die Eadulf verließ. Dessen Herz schlug schneller, als er begriff, was sich da abspielte.
    Rasch ging er zu ihnen, sein Widerstand erlosch. Die Zellentür wurde geschlossen und verriegelt.
    »Zieh die Kapuze über, Bruder«, flüsterte eine der vermummten Gestalten. »Und den Kopf runter.«
    Er gehorchte sofort.
    Die kleine Schar marschierte rasch den Gang entlang und die Treppe hinunter. Eadulf folgte ihnen bereitwillig durch ein Wirrwarr von Gängen. Sie wurden von niemandem gehindert, und dann waren sie plötzlich durch das Ufertor und außerhalb der Mauern der Abtei. Dort hielt ein anderer Mann die Zügel mehrerer Pferde. Wortlos half der Anführer Eadulf in den Sattel, und die anderen saßen zugleich auf. Dann trabten sie alle an dem im Mondlicht silbern glänzenden Fluß entlang und ließen die Tore der Abtei rasch hinter sich.
    Sie erreichten eine Baumgruppe, und der Anführer ließ sie halten. Lauschend hob er den Kopf.
    »Nichts von Verfolgern zu hören«, murmelte er.
    »Aber wir müssen wachsam sein. Von jetzt an reiten wir schneller.«
    »Wer seid ihr?« fragte Eadulf. »Ist Fidelma unter euch?«
    »Fidelma? Die dálaigh aus Cashel?« Der Sprecher lachte leise. »Spar dir deine Fragen noch eine Weile, Angelsachse. Kannst du mithalten, wenn wir zum Galopp übergehen?«
    »Ich kann reiten«, erwiderte Eadulf steif, weiter rätselnd, wer diese Männer waren, wenn Fidelma sie nicht geschickt hatte.
    »Dann los, wir reiten!«
    Der Anführer stieß seinem Pferd die Hacken in die Weichen, und das Tier schoß vorwärts. Die anderen Pferde setzten sofort nach. Eadulf spürte den ermunternden Hauch des kalten Nachtwinds auf den Wangen, der ihm die Kapuze aus dem Gesicht warf und das Haar zerzauste. Zum erstenmal seit Wochen verspürte er Leichtigkeit und Erregung. Er war frei, und nur die Elemente umspülten und liebkosten seinen Körper.
    Er verlor alles Zeitgefühl, während der Reitertrupp die Straße am Fluß entlangdonnerte, in die Wälder abbog, sich auf einem

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