09 - Vor dem Tod sind alle gleich
wies der Alte auf den sich rötenden Osthimmel, »nicht deine letzte ist, sondern lediglich den ersten Tag deines restlichen Lebens ankündigt.«
Kapitel 10
»Bist du die Frau, die Ärger mit Forbassach, dem Brehon von Laigin, hatte, wie?«
Die dünne, piepsige Stimme kam Fidelma irgendwie bekannt vor.
Sie blickte von ihrem Frühstück auf und sah sich einem dürren Individuum gegenüber, das sich über ihren Tisch beugte. Sonst hielt sich niemand im Hauptraum des Gasthauses auf, denn sie war früh zur Morgenmahlzeit heruntergekommen.
Stirnrunzelnd betrachtete sie das wenig einnehmende Äußere des Mannes. Er trug die Kleidung eines Flußschiffers. Dann ging ihr auf, daß es der kleine Mann war, der sich in betrunkenem Zustand über die Störung seines Schlafs beschwert hatte, als Forbassach in das Gasthaus stürmte. Noch nie war ihr jemand begegnet, der so wenig der allgemeinen Vorstellung von einem Flußschiffer entsprach. Er war schmächtig und knochig und hatte langes, glattes braunes Haar. Trotz seiner Hakennase, seiner dünnen roten Lippen und seiner dunklen, unergründlichen Augen war es klar, daß er in seiner Jugend gut ausgesehen haben mußte, doch jetzt wurden seine wettergebräunten Züge weniger vom Alter als von Ausschweifungen gezeichnet.
»Wie du siehst, habe ich keinen Ärger«, erwiderte Fidelma kurz und wandte sich wieder ihrem Teller zu.
Der Flußschiffer setzte sich unaufgefordert an ihren Tisch, anscheinend unbeeindruckt von ihrer unfreundlichen Antwort.
»Erzähl mir doch so was nicht«, spottete er. »Ich weiß schließlich, was ich letzte Nacht gesehen habe. Ein Brehon macht sich nicht mitten in der Nacht mit einem halben Dutzend Krieger auf den Weg, wenn er keinen Grund dafür hat. Was hast du angestellt?« Er grinste und entblößte eine Reihe schwärzlicher Zähne.
»Komm schon, mir kannst du es verraten. Vielleicht könnte ich dir sogar helfen. Ich habe viele Beziehungen in Fearna – einflußreiche Beziehungen –, und wenn es sich für mich lohnt…«
Der Flußschiffer schrie plötzlich auf und erhob sich anscheinend unfreiwillig mit schief gehaltenem Kopf von seinem Sitz. Dego hatte sein Ohr mit kunstgerechtem Griff gepackt.
»Ich glaube, du belästigst die Dame«, erklärte ihm Dego leise, aber drohend. »Möchtest du nicht woanders sitzen?«
Der Mann drehte und wand sich, bis er merkte, daß er es mit einem kräftigen jungen Krieger zu tun hatte. Mit seiner piepsigen Stimme setzte er zu einem Protestgeschrei an.
»Ich habe sie nicht beleidigt. Ich habe ihr meine Hilfe angeboten, und dann…«
Fidelma winkte lässig mit der Hand.
»Laß ihn los, Dego«, seufzte sie und erklärte dem Flußschiffer mit Bestimmtheit: »Deine Hilfe will ich nicht. Auf keinen Fall will ich für irgendeine Hilfe bezahlen, die du mir anbietest. Nun schlage ich vor, du folgst dem Rat meines Kameraden und suchst dir einen anderen Platz.«
Dego ließ das Ohr des Mannes los, der Flußschiffer rieb es und wich ein paar Schritte zurück.
»Das vergesse ich euch nicht«, jammerte er, immer außer Reichweite Degos. »Ich habe Freunde, und ihr werdet mir dafür bezahlen. Ihr denkt, mit mir könnt ihr es machen? Das haben andere auch schon versucht. Die wissen es inzwischen besser.«
Lassar war hereingekommen, um Fidelma zu bedienen, und hörte die Beschwerden des Mannes.
»Was ist denn los?« fragte sie.
Dego lächelte und setzte sich auf den Stuhl, von dem der Flußschiffer aufgestanden war.
»Ein Irrtum von mir«, erklärte er Lassar. »Ich hatte den Eindruck, daß der kleine Mann da«, mit dem Daumen wies er auf den Flußschiffer, »Schwester Fidelma mit unerbetenen Aufmerksamkeiten belästigte. Ich entschuldige mich für das Mißverständnis.«
Der Mann stand da und rieb sich noch immer das Ohr. Damit hörte er auf, als er den Namen vernahm, den er offensichtlich kannte. Fidelma fragte sich, woher.
»Ich bin sicher, der Bursche nimmt deine Entschuldigung an, Dego, und will nicht noch mehr Ärger machen«, sagte Fidelma bestimmt.
Der Flußschiffer zögerte einen Moment, dann nickte er ruckartig.
»Der Mensch kann sich ja mal irren. Das stimmt doch?« murmelte er.
Fidelma fiel plötzlich etwas ein.
»Ich habe dich schon einmal gesehen, nicht wahr?« Der Kleine machte eine finstere Miene. »Nein!«
»Jetzt weiß ich’s! Du standest im Hof der Abtei und hast zugesehen, wie sie den Leichnam Bruder Ibars abnahmen.«
»Warum sollte ich das denn nicht? Ich treibe viel Handel mit der
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