09 - Vor dem Tod sind alle gleich
Abtei, der die Äbtissin darüber informierte, was ich getan hatte.«
»Die Äbtissin wußte gestern abend, daß Eadulf in deine Burg gebracht worden war?« unterbrach ihn Abt Noé.
»Ich sagte doch schon«, wiederholte Coba, »daß ich die Vorschriften des Gesetzes ganz sorgfältig befolgte. Ich bin sicher, daß der Angelsachse sie verstanden hat. Ich wünschte nur, ich könnte dir in dieser Sache einen besseren Trost bieten, Schwester.«
Abt Noé murmelte: » Ignorantia legis neminem excusat. «
Coba sah ihn an. »Aber Unkenntnis des Gesetzes kann doch bei einem Ausländer als mildernder Umstand geltend gemacht werden?«
»Es sieht Eadulf nicht ähnlich, so etwas zu tun«, sagte Fidelma leise, fast zu sich selbst.
Abt Noés Miene blieb hart.
»Deiner Meinung nach, Schwester, sieht es dem Angelsachsen auch nicht ähnlich, eine junge Novizin vergewaltigt und ermordet zu haben. Vielleicht kennst du diesen Angelsachsen doch nicht so gut, wie du gern glauben möchtest?«
Fidelma hob den Kopf und schaute ihrem alten Widersacher in die Augen.
»Vielleicht ist daran etwas Wahres«, gab sie zu.
»Aber wenn nichts Wahres daran ist, wie ich meine, dann gehen an diesem Ort merkwürdige Dinge vor sich. Ich habe vor, diese Angelegenheit in allen Einzelheiten aufzuklären.«
Der Abt lächelte humorlos.
»Das Leben ist wirklich seltsam, Schwester. Es ist der Kessel Gottes, in den wir geworfen werden, um unsere Seelen zu prüfen. Ignis aurum probat, miseria fortes viros. «
»Das Feuer prüft das Gold, das Unglück die Starken«, wiederholte Fidelma leise. »In diesen Worten Senecas steckt viel Weisheit.«
Abt Noé stand plötzlich auf und trat Fidelma gegenüber. Mit bewegter Miene sah er sie an.
»Wir sind schon früher aneinandergeraten, Fidelma von Cashel«, sagte er leise.
»So war es«, stimmte sie ihm zu.
»Von der Schuld oder Unschuld deines angelsächsischen Freundes ganz abgesehen, sollst du wissen, daß mir die Kirche in diesem Lande am Herzen liegt und ich nicht will, daß sie Schaden nimmt. Äbtissin Fainder kann ihr Eintreten für die Bußgesetze manchmal übertreiben. Sie ist eine Eiferin, wenn du so willst. Ich sage das, obgleich sie eine entfernte Kusine von mir ist.«
Diese Feststellung ließ Fidelma überrascht aufblicken.
»Äbtissin Fainder ist deine Kusine?«
»Natürlich, aus diesem Grunde ist sie ja auch geeignet, die Abtei zu leiten. Sie betrachtet jedenfalls alles unter dem Gesichtspunkt richtig oder falsch, weiß oder schwarz, ohne Verständnis für die feinen Schattierungen von Grau. Du und ich, wir beide wissen, daß das Leben nicht nur aus diesen beiden Extremen besteht.«
Fidelma sah ihn stirnrunzelnd an.
»Ich weiß nicht genau, was du damit meinst, Pater Abt. Wenn ich mich recht erinnere, warst du nie ein Anhänger der römischen Kirche.«
Der Abt mit dem schmalen Gesicht seufzte und neigte den Kopf.
»Ein Mensch kann durch Argumente überzeugt werden«, gestand er. »Ich habe viele Jahre über diese Dinge nachgedacht. Ich habe die Debatten in Whitby sehr genau verfolgt. Ich glaube, daß Christus die Schlüssel des Himmels an Petrus übergab und daß Petrus die Kirche in Rom aufbaute, wo er auch den Märtyrertod starb. Daraus mache ich kein Hehl. Was ich meine, ist, daß Menschen verschiedene Wege wählen, um zu ihrem Ziel zu kommen. Manchmal müssen die Menschen durch Argumente überzeugt werden und nicht durch Befehle. Ich wurde dadurch überzeugt, daß ich jahrelang alles erwogen habe. Andere sollten denselben Weg gehen und nicht durch Anordnungen gezwungen werden, sich zu ändern. Leider bin ich nur eine einzelne Stimme im Rat.«
Er verließ das Gasthaus ohne ein weiteres Wort. Coba sah etwas verwirrt aus, dann schaute er Fidelma an.
»Ich muß zu meiner Burg zurück. Ich habe die Suche nach dem Angelsachsen in die Wege geleitet. Es tut mir leid um deinen Freund, Schwester. Ich habe versucht zu helfen, aber damit alles nur schlimmer gemacht. Es gibt ein altes Sprichwort, daß man sich von einem vom Unglück verfolgten Menschen fernhalten sollte. Vielleicht wäre es gut, wenn wir das beachteten. Es tut mir wirklich leid, daß alles so gekommen ist.«
Als er gegangen war, vernahm Fidelma ein leises Hüsteln hinter sich.
Dego und Enda waren auch heruntergekommen.
»Habt ihr alles gehört?« fragte sie.
»Nicht alles«, gestand Dego, »aber genug, um zu wissen, daß der alte Coba Bruder Eadulf Zuflucht gewährte und er jetzt aus der Freistätte geflohen ist. Das ist
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