0907 - Imperium der Zeit
den Augen. »Chef, was soll das? Wir haben doch momentan mehr als genug um die Ohren, um uns jetzt auch noch mit Trickbetrügern zu befassen. Dein Amulett zum Beispiel! Dem sollten wir uns widmen. Seit einigen Wochen ist es nahezu unkontrollierbar geworden…«
»Und wir werden uns ihm widmen, keine Sorge.« Zamorra setzte den Blinker und bog nach rechts ins Stadtzentrum ein. Auf seiner linken Seite glitzerte die Mosel in der Nachmittagssonne. »Aber dieser Anruf war… dringend. Er sprach mich an, irgendwie; machte mich neugierig. Außerdem habe ich in der letzten Nacht noch ein wenig im Computer des Châteaus recherchiert.«
Nicole sah ihn fragend an.
»Internen Polizeimeldungen zu Folge kam es in Trier noch zu zwei weiteren Sichtungen dieses Römers«, fuhr er fort. »An völlig unterschiedlichen Orten, von völlig unterschiedlichen Personen gemeldet.«
»Tote?«
»Nein, keine weiteren. Aber das allein beweist noch gar nichts.«
Der Meister des Übersinnlichen und seine Partnerin befanden sich nun auf der Nordallee, die direkt ins Herz der Stadt führte. Von weitem konnten sie schon die Porta Nigra zu ihrer Rechten und ein gutes Stück weiter voraus den gerade im Umbau befindlichen Trierer Hauptbahnhof erkennen. Trotz der Uhrzeit war das Verkehrsaufkommen auf den Straßen der Hunderttausend-Seelen-Siedlung erträglicher als erwartet, Zamorra kam leicht durch.
Er hatte erwogen, sein Glück zunächst beim Polizeipräsidium zu versuchen, welches den gestrigen Mord untersuchte und auch die weiteren Römersichtungen protokolliert hatte, doch dann hatte er sich dagegen entschieden. Was ihm die Staatsdiener erzählen konnten, wusste er vermutlich ohnehin - und sollte sich sein Instinkt bestätigen und Trier tatsächlich Ziel eines übersinnlichen Phänomens geworden sein, wäre eine Unterstützung durch die hiesige Polizei kaum noch relevant.
Stattdessen wollte er sich den Tatort des gestrigen Verbrechens ansehen, die Fußgängerzone im Stadtkern, und sich selbst ein besseres Bild von den tragischen Ereignissen machen. Danach würden sie weitersehen und - sollte sich keine weitere Spur finden - eventuell sogar auf Thomas Scheuerer zurückgreifen müssen. Aber das , dachte der Professor grimmig, wäre dann wirklich der allerletzte Strohhalm.
Er suchte schon nach einem Parkplatz, als ihn Nicoles Stimme aus seinen Überlegungen riss. »Wie, hatte Scheuerer gesagt, hat der Römer ausgesehen?«
Da! Eine Lücke. Sofort lenkte Zamorra den Jaguar um, dabei entsann er sich des nächtlichen Telefonats. »Erdfarbene Tunika, goldener Brustharnisch, verzierter Helm. Lederne Sandalen. Spitzer Speer an langem Holzsstiel. Warum?«
Nicole zog hörbar die Luft ein. Als sie weitersprach, klang sie angespannt. Nahezu beleidigt. »Ähm, Chef«, sagte sie leise, »schau doch mal eben aus meinem Seitenfenster und sag mir, was du da siehst…«
Stutzig geworden, wandte der Professor den Kopf und blickte in die gewünschte Richtung. Dann setzte sein Herz für einen Augenblick aus.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand sich ein großes, farbiges Plakat einer reisenden Theatergruppe namens »The Shakespeare People«, auf welchem die Trierer Bevölkerung zu einem Shakespeare-Festival im Amphitheater eingeladen wurde, einer Open-Air-Arena aus den Tagen, als die Gegend noch unter römischer Regierung stand.
Derzeit wurden die roman plays des berühmten Dramaturgen aufgeführt, also die Stücke, die mit Rom und dem römischen Imperium zu tun haben. Und ein stattlicher Römer - ein Schauspieler in entsprechender Aufmachung - blickte Zamorra stolz vom Plakat entgegen. Die Beschreibung passte.
»Das glaub ich jetzt nicht«, murmelte der Professor, einen Moment fassungslos. »Denkst du…«
»Dass wir umsonst gekommen sind?«, fragte Nicole. »Dass unser Geist eventuell nur ein Schauspieler war? Möglich.«
Zamorra seufzte und strich sich mit der linken Hand über die Stirn. »Scheuerer…«
***
»O du, verzeih mir, blutend Stückchen Erde!«, stand auf einem breiten Banner über dem Haupteingang des Amphitheaters im Osten der Stadt - ein Zitat aus Shakespeares »Julius Cäsar«, wie Zamorra sofort erkannte. Bestens , dachte der Professor zynisch, während er und seine Begleiterin auf die große Ruinenanlage zugingen. Sie führen ein Stück über einen ermordeten Römer auf, und das heute, zu einer Zeit, in der ein Römer mordet. Vielleicht hat Nicole tatsächlich recht, und hinter dieser Geschichte verbergen sich wirklich
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