0909 - Das Opfer
Existenz die meisten Menschen sicherlich leugneten.
Romana dachte anders darüber. Sie hatte, bedingt durch ihr Schicksal, viel Zeit gehabt, sich mit gewissen Dingen und Themen auseinanderzusetzen. So hatte sie sehr viel gelesen und sich dabei nicht nur auf ein Thema beschränkt. Sie war die gesamte Palette der Belletristik und auch der Sachbücher sowie der populärwissenschaftlichen Literatur durchgegangen, und so hatte sie über Themen gelesen, die sich immer stärker bei ihr einprägten.
Furchtbare Geschichten von unheimlichen Wesen und Schattengestalten. Alte Legenden und Sagen über schreckliche Geschöpfe, auch über welche, die Blut brauchten.
Es gab einen besonderen Namen für sie. Man nannte sie Vampire, Blutsauger, Wiedergänger, Untote, für die der menschliche Lebenssaft sehr wichtig war.
Sie kamen in der Nacht. Sie schlichen sich an ihr Opfer heran und überfielen es. Dann hackten sie ihre Zähne in die Hälse der Menschen. Sie waren brutal, saugten ihren Opfern das Blut aus. Sie ernährten sich davon. Einer ihrer Anführer war Vlad Dracula gewesen.
Doch er war Geschichte; es lag einige Jahrhunderte zurück. Er hatte einen Nachfolger bekommen, nicht nur in der Literatur oder im Film, auch in der Wirklichkeit.
Romana Kendrake war davon überzeugt, daß es Vampire gab. Sie glaubte fest, daß dieser Schatten, der sie schon mehrmals besucht hatte, zu dieser Gruppe von Wiedergängern zählte.
Und sie sollte sein Opfer werden.
Darüber hatte sie mit ihrem Vater gesprochen. Er hatte zugehört, sie dann beruhigt, obwohl sich Romana nicht hatte beruhigen wollen lassen. Sie wußte genau, was sie sagte, und sie hatte immer wieder von diesem Thema angefangen, bis sie ihren Vater weichgeklopft hatte. Er versprach, etwas für sie zu tun.
Heute sollte dieser Tag sein, wo er mit der neuen Hilfe eintreffen würde.
Romana war gespannt, denn ihr Vater hatte ihr nicht gesagt, was er genau unternehmen wollte. Sie sollte sich einfach überraschen lassen, er würde schon das Richtige in die Wege leiten.
Sie lächelte, als sie an ihn dachte. Er meinte es gut mit ihr. Er war stets besorgt um sie, trotz seines anstrengenden Jobs. Sie wußte ja, in welch einem Gewerbe er tätig war. Fragte man ihn nach seinem Beruf, so sagte er Nachrichtenhändler, aber er handelte nicht nur mit Nachrichten. Sie waren anders verpackt, möglicherweise sogar in Waffen.
Auch er lebte gefährlich. Allerdings auf eine andere Art und Weise als seine Tochter. Aus diesem Grunde lebten auch zwei Männer im Haus, die Romana nicht eben zu ihren Freunden zählte. Für ihren Vater aber waren sie unentbehrlich. Er vertrug keine Kritik, was seine beiden Leute anging.
Zudem waren sie sehr loyal.
Die Männer hießen Raki und Krishan, wobei Raki noch die Rolle des Sekretärs übernommen hatte.
In der Branche war er bekannt und gefürchtet.
Über sie wollte Romana nicht nachdenken, ihr eigenes Schicksal interessierte sie mehr, und sie war nur froh darüber, daß sie ihren Vater davon hatte überzeugen können, ihr einen anderen Schutz zu besorgen, denn auf Raki und Krishan konnte sie verzichten.
Im Garten bewegte sich nichts. Auch der Wind war eingeschlafen. Die Feuchtigkeit des Sprühregens schimmerte noch auf den rauhen Rinden der Bäume und ließ die Gewächse aussehen, als wären sie mit einer dünnen Ölschicht bestrichen.
Romana hoffte darauf, daß der Nebel es schaffte, die Feuchtigkeit wegzudampfen, denn sie sah auch die großen Dunstinseln, die sich im Garten ausgebreitet hatten. Sie lagen dort wie kompakte Wattebäusche und glichen Verstecken, in denen sich zahlreiche Feinde verbergen konnten. Dieser Vergleich erinnerte Romana wieder an ihren nächtlichen Besucher, der ja kaum mehr als ein Schatten gewesen war, allerdings mit eisigen Totenhänden, die über ihren Körper und auch über ihr Gesicht gestrichen waren.
Sie schauderte noch in der Erinnerung daran zusammen und bekam eine Gänsehaut.
Das jahrelange Sitzen im Rollstuhl hatte Haltungsschäden zur Folge gehabt. Romana saß nach vorn gebeugt, und man glaubte, sie würde den Rollstuhl jeden Augenblick verlassen, das aber täuschte.
Sie war ja gelähmt.
Romana wartete, und sie fragte sich, worauf. Sie hockte einfach nur da, hatte alle Zeit der Welt und hätte auch nach oben in ihr Zimmer fahren können, um sich mit einem Buch zu beschäftigen, doch das wollte sie jetzt nicht. An diesem trüben Morgen hatte sie keine Lust dazu. Schon beim Frühstück hatte sie kaum die Zeitungen
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