091- Das Schloß der teuflischen Deborah
im Schloß aufgehalten hatte, war
verdächtig. Aber es mußte kein Besucher gewesen sein. Es konnte auch eine Frau
sein, vielleicht jemand vom Personal.
Benommen und
wie hypnotisiert saß er neben dem Bett seiner toten Frau.
Draußen wurde
es dunkel.
Stunden waren
vergangen.
Im Castle war
es totenstill.
Wie eine
Statue saß Howard Manor in der Dunkelheit, und seine Gedanken waren wie
Spinnenbeine, die sich in alle Richtungen entfernten.
War der Mörder
unter den Gästen zu suchen? Oder im Schloß?
»Ich werde
ihn finden«, preßte er hervor, und seine Lippen zitterten. Mit einem Ruck zog
er das Messer aus der tiefen Wunde. Verklumptes Blut sickerte schwerfällig
nach. Er wischte das Jagdmesser an der Spitzendecke ab und steckte es ein. »Und
er wird durch dasselbe Messer sein Leben verlieren, durch das Isabelle sterben
mußte«, schwor er sich.
Er riß die
Vorhänge zurück und öffnete das Fenster. Kühl und feucht war die Nachtluft.
Nebel waberten über den Boden, wehten durch den Park und machten die Bäume zu
verwaschenen Schemen. Ein Ast knisterte, ein Tier huschte durch die Dunkelheit,
ein Nachtvogel schrie. Dann herrschte wieder gespenstische Stille.
Die Welt
hatte sich verändert.
Howard Manor
schwamm in einem Meer von Gedanken und Überlegungen, in einem Brei aus Haß,
Abscheu und Angst. Alles, was nach der Entdeckung der Toten im Schloß
gesprochen worden war, kam ihm jetzt wieder in den Sinn. Die Verdächtigungen,
das Mißtrauen, offene Ablehnung. Selbst sein eigener Bruder Rudolph hatte sich
von ihm abgewandt. Kein Wort des Trostes hatte er geäußert, nur eine Anklage:
Du hättest sie nicht hinrichten lassen sollen! Damit hatte er Deborah gemeint.
War sie
schuld an dem Geschehen? Was für Mächte hatte sie gerufen, um die Hand des
Mörders zu führen?
»Sir Howard!«
Er vernahm seinen Namen aus weiter Ferne.
»Sir Howard!«
Er zuckte zusammen. Das klang wie ein Hilferuf.
Howard Manor
wirbelte herum und stürzte aus dem Zimmer.
Durch den
dämmrigen Gang rannte einer der Wachen. »Sir Howard!« der Mann war völlig außer
Atem. »Vom Nordturm aus haben wir sie gesehen.«
»Gesehen?
Wen? Mann, so reden Sie doch!«
»Einen Geist!
Den Geist von Lady Deborah!«
●
Howard Manor
kniff die Augen zusammen. Er starrte den Mann an, als wäre er selbst eine
Spukerscheinung.
Der Wächter
rannte schon wieder los und Howard Manor neben ihm her. Ihre Stiefelabsätze
knallten auf den Boden, daß es durch das ganze Schloß hallte.
Auf der
obersten Stufe eines Treppenaufgangs stand im Dämmerlicht eine Gestalt. In
einen dunklen Umhang gehüllt, wirkte sie schweigsam und ernst. Glitzernde,
aufmerksame Augen verfolgten die beiden Männer, die durch den Gang stürmten.
Diese bemerkten es nicht.
Es war Mary
Luisa Snowborn, die Amme von Henry und James, den Söhnen von Sir Howard.
●
Der
Schloßherr jagte hinter dem Wächter die schmalen, steilen Stiegen empor.
Die
Wendeltreppe führte in eine kalte, muffige Kammer. Von hier oben hatte man
einen einmaligen Blick über das Land und den Park. Durch die winzigen,
quadratischen Fenster blies ein kalter Wind und fächelte Howard Manors
schweißnasse, erhitzte Stirn.
»Wo?« fragte
er nur, und seine Blicke irrten durch die Finsternis. Aber er brauchte nicht
mal mehr den Hinweis des erregten und angsterfüllten Wächters.
Er sah den
Geist, und es wurde eiskalt um sein Herz – dort, wo sich der Weg verbreiterte
und auf eine Spielwiese mit Brunnen und kleinen künstlichen Bächen… nur eine
Steinwurfweite vom Turm entfernt! Nebelschleier wehten darüber hinweg. Der Mond
stand bizarr am Himmel, sein silbernes, bleiches Licht reichte nicht aus, die
Dunstwand vollends zu durchdringen.
Dennoch war
genügend zu erkennen.
Auf der Wiese
bewegte sich etwas.
Eine Gestalt!
Eine Frau! Sie trug ein dunkles Kleid. Wenn man genau hinsah, glaubte man, daß
der Stoff grüngefärbt war. Es handelte sich um das Kleid, das Lady Deborah bei
ihrer Hinrichtung getragen hatte. Sir Howard Manor stöhnte und strich sich über
die Augen, als wolle er das Bild verwischen. Aber der Spuk blieb. Die
schemenhafte Gestalt in den Nebelwolken hatte keinen Kopf!
●
Howard Manor
warf sich herum.
Wie von
Sinnen stürzte er die enggewundenen Treppen hinunter. Zweimal rutschte er aus,
fing sich aber noch rechtzeitig ab und hatte Glück, daß er nicht stürzte und
sich ernsthaft verletzte.
Der
Schloßherr rannte hinaus und rief laut durch die Nacht:
»Bleib, wo
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