091- Das Schloß der teuflischen Deborah
der Wand waren noch Plätze frei.
Vor der
untersten Treppenstufe blieb die Verurteilte stehen. Sie hob den Kopf, und ein
arrogantes Lächeln verlieh ihrem harten, strengen Gesicht einen noch
unsympathischeren Zug. Lady Deborah war keine häßliche Frau. Sie hatte
ebenmäßige Züge, eine reine, samtene Haut, und wenn sie lächelte, wurde ihre
Miene ausgesprochen apart. Aber es kam darauf an, wie sie lächelte.
Clermont
hatte sie noch nie freundlich lächeln gesehen.
»Neben dem
Porträt von Sir Rudolph, dem Bruder meines Mannes, ist genügend Platz, Clermont«,
sagte sie mit scharfer Stimme. »Dort soll das Bild hängen.«
Clermont
lehnte das Porträt gegen die Wand und holte den schweren Rahmen. Es dauerte
nicht lange, und das Bild war eingepaßt. Es war ihm jedoch unmöglich, es aus
eigener Kraft aufzuhängen. Es war zu schwer, und ein Wächter mußte
Hilfestellung leisten.
Das Portrait
bekam noch unter den Augen der Verurteilten seinen endgültigen Platz.
»Wer immer
die Treppe emporschreitet, der wird mich sehen«, kam es wie eine Beschwörung
über die schmalen, feucht schimmernden Lippen von Lady Deborah. »Genauso soll
es sein.«
Damit waren
die Wünsche, die man ihr gestattet hatte, erfüllt.
Es ging zur
Hinrichtung!
Die beiden
Wachen wollten die Frau vor sich herschieben, aber Lady Deborah ging allein.
Nachdenklich
und leicht fröstelnd blieb Clermont am Fuß der Treppe zurück.
Lady Deborah
verschwand um den Mauervorsprung.
Der Maler
wandte den Blick und starrte auf das Porträt in dem schweren, goldenen Rahmen.
Fangen Sie
meine Seele ein!, hörte er noch die Stimme Lady Deborahs und zuckte zusammen.
Das Licht,
das von dem vergitterten, gegenüberliegenden Fenster hereindrang, fiel genau
auf das Gemälde. Der Schein verlieh ihm ein Leben, das ihn selbst erschreckte.
O ja, er
hatte die Seele eingefangen. Dieses Kunstwerk lebte! Betroffen kam ihm der
Gedanke, daß er eine geniale Leistung vollbracht hatte! Er fühlte sich wie ein
Schöpfer. Es kam ihm vor, als hätten die beiden Wachen nicht die lebende
Deborah Manor mitgenommen, sondern ein Abbild. Die wirkliche Deborah Manor
schien sich hier in diesem Portrait zu verstecken!
●
Die
Verurteilte wurde nach unten in die Gewölbe gebracht.
In der
Folterkammer waren fünf Personen versammelt, darunter der Henker, vermummt mit
einem blutroten, sackähnlichen Überwurf, und Sir Howard, der schweigend und mit
kalter Miene auf einem samtbezogenen Hocker saß.
In der
dumpfen, kühlen Kammer brannten drei Pechfackeln, es herrschte Stille.
Einen Schritt
hinter Sir Howard saßen sein Bruder Rudolph und ein Vertrauter des Schlosses,
ein hochgewachsener Mann, mit dem Sir Howard alle seine Probleme besprechen
konnte, und auf dessen Ratschläge er großen Wert legte.
Die fünfte
Person stand an der gegenüberliegenden Wand. Es war eine Frau. Sie trug ein
langes, bis zum Boden reichendes, dunkelblaues Kleid.
Lady Deborah
warf ihr einen eisigen Blick zu. Dann drehte sie blitzartig den Kopf herum, und
ihre funkelnden Augen trafen ihren schweigsamen Mann.
»Du
behauptest, es stünde im Interesse aller, die hier leben, daß ich aus der
Gesellschaft der Menschen ausgemerzt werden müsse.« Ihre Stimme klang metallen,
und ein bitteres Lachen folgte ihren Worten. »Ist es nicht so, daß dieses Weib
hier…« und wieder wandte sie den Kopf und spie der anwesenden Frau vor die
Füße. Diese stieß einen leisen, erstaunten Schrei aus und schritt schnell zur
Seite.
Sir Howard lief rot an. Er sprang auf und ging auf Lady Deborah zu: »Wie kannst du es
wagen, sie anzuspucken?«
Doch sie
lachte ihrem Mann ins Gesicht. »Ja, und wenn es mir paßt, dann spucke ich dich
auch noch an«, stieß sie hervor. »Du behauptest, ich sei eine Hexe. Wäre ich
eine, hätte ich sie längst in eine häßliche Kröte verwandelt.« Ihre Lippen
zitterten. »Es kommt dir darauf an, Platz zu machen für sie. Für diese Hure!«
Howard Manor
schlug Lady Deborah seine Lederhandschuhe ins Gesicht. »Zügle dein Mundwerk,
alte Hexe«, preßte er hervor. Schweiß perlte auf seiner Stirn. Die junge Frau
in dem langen, blauen Kleid kam mit drei schnellen Schritten auf Sir Howard zu
und legte sacht ihre Rechte auf den Unterarm des starken, muskulösen Mannes,
ehe er sich abermals vergaß.
»Nicht«, bat
sie. Sie hatte eine vornehme Blässe, war so schlank wie Lady Deborah, aber ihre
Züge waren sanft und lieblich. Sie war eine hübsche Frau.
Deborah zog
die Mundwinkel herab. »Du
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