091 - Die Bräute des Henkers
Blick auf ein feingeschnittenes, aber strenges und hartes Gesicht. Der Graf kam ihr weit jünger vor als Mitte Fünfzig, aber das mochte auch an der Allongeperücke und seinem gepuderten Gesicht liegen.
Dumpf verhallte der Hufschlag des Pferdes. Cocos Neugier war befriedigt. Sie wollte sich nun auf die Suche nach dem Dämonenkiller machen. Wenn sie ihn nicht fand, mußte sie sich darauf einrichten, die Nacht allein und womöglich unter freiem Himmel zu verbringen.
Coco war gewiß nicht verweichlicht, aber im Oktober im Freien zu übernachten, entsprach nicht ihrem Geschmack.
Sie eilte zwischen den Bäumen hindurch, uni den Park so schnell wie möglich zu verlassen. Es dämmerte schon.
Coco sah schon die letzten Bäume des Parks, Felsgruppen und öde Hügel, da schnappte etwas metallisch, und ein furchtbarer Schmerz durchraste sie. Im ersten Moment glaubte sie, scharfe Eisenzähne würden ihr den rechten Fuß abtrennen.
Sie stieß einen gellenden Schrei ans, den man bis zum Schloß gehört haben mußte, und stürzte zu Boden. Eine Zeitlang blieb sie liegen, vor Schmerz keuchend, dann erst konnte sie nach ihrem verletzten Fuß sehen.
Sie war in ein Fangeisen getreten, wie man sie für Füchse und sogar Wölfe aufzustellen pflegte. Coco versuchte, die Stahlbacken auseinanderzubiegen, aber sie hatte nicht genug Kraft.
Der Schmerz war so höllisch, daß sie fast das Bewußtsein verlor. Der Graf, der in die andere Richtung geritten war, hatte ihren Schrei anscheinend nicht gehört. Aber vom Schloß her vernahm sie jetzt Männerstimmen und Hundegebell. In wenigen Minuten mußte die Häscher da sein.
Coco wußte nichts, was sie von dem Grafen de Calmont zu erwarten hatte. Sicher nichts Gutes.
Sie biß die Zähne zusammen und versuchte noch einmal, sich zu befreien. Aber vergeblich. So erwartete Coco die Häscher.
Es raschelte im Gebüsch. Coco schaute erstaunt auf. So nahe konnten die Verfolger noch nicht sein. Ein junger Mann mit wirrem Haar trat hervor. Er trug Lumpen am Leib und hielt einen derben Stock in der Hand. Zögernd trat er zu der stöhnenden Coco.
„Kann ich Ihnen helfen?" fragte er in einem französischen Dialekt, den Coco im Moment nicht identifizieren konnte.
Das war eine der dümmsten Fragen, die sie je gehört hatte.
„Mein Fuß", sagte sie. „Ich kann das Eisen nicht aufbiegen."
Der junge Mann legte den Stock weg und beugte sich herunter. Er war stämmig und untersetzt und hatte breite Schultern und starke Arme. Mit vereinten Kräften gelang es ihm und Coco, die Backen des Fangeisens auseinanderzubiegen.
Aufseufzend zog Coco ihren Fuß heraus. Die Stimmen der Verfolger und das Hundegebell waren näher gekommen. Der zerlumpte junge Mann schaute in die Richtung, aus der die Häscher sich näherten.
„Wir müssen fort von hier", sagte er. „Wenn die Leute des Grafen mich finden, geht es mir schlecht. Sie halten mich für tot."
Er kicherte albern.
„Glauben Sie, wir können ihnen entkommen, obwohl sie Hunde haben?" fragte Coco den Zerlumpten.
Er nickte eifrig. „Freilich. Es sind keine Fährtensuchhunde. Kommen Sie! Kommen Sie schnell!"
Er half Coco auf und stützte sie. Vorerst mußte sie ihm vertrauen. Es war auch keine Zeit, zu fragen, wo er so plötzlich hergekommen war.
Sie eilten aus dem Park. Coco stützte sich auf den Zerlumpten und biß die Zähne zusammen. Sie humpelte, weil sie mit dem rechten Fuß nicht richtig auftreten konnte. Ihr wadenhoher rechter Stiefel war blutbeschmiert.
Der Zerlumpte führte sie zwischen die Hügel, durch Gestrüpp und über Stock und Stein. Währenddessen brach die Dunkelheit herein. Endlich - nach mehr als einer Dreiviertelstunde - dirigierte sie der fremde Mann zu einem bemoosten Steinblock, auf den sie sich niedersetzen konnte.
Während der ganzen Zeit hatten sie kein Wort miteinander gesprochen. Coco rang nach Luft. Sie hatte eine gute Kondition, aber mit dem verletzten Fuß war das Laufen sehr mühsam.
Der junge Mann hockte sich ihr zu Füßen nieder und grinste sie an. Sein Gesicht war schmutzig. Ein wirrer Bart verdeckte fast die Hälfte. Der Fremde hatte dunkles Haar und blaue Augen, die ohne Falsch und Bosheit waren. Trotz seiner wüsten Erscheinung vertraute ihm Coco.
„Wer bist du?" fragte sie.
„Pierre", sagte er und grinste. „Hast du vielleicht Pralinen in deiner Tasche? Oder ein Stückchen Käse? Einen guten Roquefortkäse?"
„Leider nicht, Pierre. Ich bin Coco. Coco Zamis. Was machst du hier auf der Insel? Du gehörst
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